„Wir haben über den Särgen unserer Kinder unser Wort gegeben“

Mit Blick auf die Angriffe und Drohungen gegen Rojava am 10. Jahrestag der Revolution erklärt Ayşe Efendî: „Wir stehen zu dem Versprechen, das wir unseren Kindern über ihren Särgen gegeben haben. Wir werden die Revolution verteidigen.“

Die Ko-Vorsitzende des Rats der Familien der Gefallenen im Kanton Kobanê, Ayşe Efendî, redet anlässlich des 10. Jahrestags des Beginns der Revolution von Rojava im ANF-Gespräch über die Revolution, ihre Bedrohung und Verteidigung. Sie unterstreicht die Errungenschaften der Revolution und die Bedeutung ihrer Verteidigung.


Efendî blickt auf die vergangenen zehn Jahre zurück und sagt: „In diesen zehn Jahren haben wir großen Widerstand, Massaker, Vertreibung und Embargos erlebt und mit der Auslöschung gerungen. Aber wir haben viele Errungenschaften erkämpft. Die QSD, YPG, YPJ und HPC wurden gegründet. Die Selbstverwaltung und ihre Kommunen und Räte wurden aufgebaut. In Nord- und Ostsyrien begannen alle Völker in Anerkennung ihrer eigenen Identitäten, miteinander zu leben. Jedes Volk beteiligte sich mit seiner eigenen Sprache, Religion und Kultur. Auf dieser Grundlage wurde eine gemeinsame Verteidigungskraft gebildet. Mütter von Gefallenen aus allen Religionen und mit verschiedenen Sprachen fanden sich und schlossen sich zusammen. So haben wir es geschafft, zu überleben und weiterzukämpfen.“

Von vier zu Tausenden“

Ayşe Efendî erzählt, wie sie am Anfang der Revolution im Viertel Şehîd Serhat in einem Garten ein Zimmer eingerichtet hatten, wo eine Lehrerin aus Mexmûr einigen Familien und Kindern Kurdisch-Unterricht gab. Sie erinnert sich: „Damals haben sich einige politische Parteien über uns lustig gemacht: ‚Ihr habt eine Schule mit vier Kindern eröffnet und lasst sie von jemandem unterrichten, der nicht einmal Kurdisch spricht, glaubt ihr, dass ihr so erfolgreich sein könnt?' Unsere Position damals war: Wir haben die Legitimation zum Sprachunterricht von unseren Gefallenen und von der Revolution vom 19. Juli bekommen. Wir haben es versprochen und wir werden unser Versprechen heute erfüllen. Diese Überzeugung, die mit vier Kindern begann, hat dazu geführt, dass heute Tausende von Schülerinnen und Schülern von der Grundschule über die Oberstufe bis hin zur Universität ihre Sprache lernen. In den vergangenen zehn Jahren haben wir uns sowohl geografisch als auch als System allmählich erweitert. Jede Religion, Sprache und Kultur, die in dieser Gegend lebt, konnte angstfrei ihre Identität offenbaren und so mit ihrer eigenen Sprache, Religion und Kultur leben.“

Wir halten unser Versprechen an unsere Kinder“

Zu den Angriffen auf Rojava fährt Efendî fort: „Wie jede Familie von Gefallenen und jede Mutter eines Gefallenen haben wir auf den Särgen unserer Kinder ein Versprechen gegeben, und wir halten uns an dieses Versprechen. Wir sind entschlossen, die Errungenschaften der Revolution zu bewahren und das uns anvertraute Erbe zu schützen. Wir sind darauf fokussiert, uns zu verteidigen und unseren Widerstand bis zum Ende fortzusetzen.“

Die Frauen griffen zuerst zu den Waffen“

Ayşe Efendî unterstreicht insbesondere die Bedeutung der Frauenrevolution in Rojava und fährt fort: „Das System des Ko-Vorsitzes, der Kommunen und der Räte wurde eingeführt. Frauen nahmen an allen gesellschaftlichen Entscheidungsstrukturen von Ökonomie bis Diplomatie teil. Es wurde ein Frauensystem geschaffen. In dieser Revolution arbeiteten und kämpften die Frauen am meisten, und die Frauen finden sich in dieser Revolution wieder. Am 19. Juli griffen die Frauen zu den Waffen und verteidigten ihre Dörfer, Wohnviertel und Städte. Zu dieser Zeit hatten wir nichts, keine Waffen, nicht einmal Lebensmittel. Ich war eine der Frauen, die sich aktiv beteiligt haben.

Wir haben einen Brunnen mit einer Nadel gegraben“

In diesen zehn Jahren haben Frauen sowohl gegen die Banden [IS und andere Gruppen] als auch gegen den türkischen Staat gekämpft. Die Frauen haben sich nie zurückgehalten. Die Revolution von Rojava hat uns große Opfer gekostet. Wir trugen eine schwere Last. Aber in dem Prozess, der im Namen der syrischen Revolution begann, haben wir die kurdische Revolution, die Rojava-Revolution und die Frauenrevolution durchgeführt. Durch die YPJ erfuhren kurdische Frauen auf der ganzen Welt Bewunderung und Anerkennung und wurden zur Inspiration. All dies ist das Erbe des seit 50 Jahren geführten Kampfes. Es ist das Ergebnis der Arbeit von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] und das Erbe des Apoismus. Es ist die Leistung und das Vermächtnis von Tausenden von Gefallenen. Auf diese Weise haben wir Sein aus dem Nichtsein geschaffen. Rêber Apo sagte: ‚Wir haben mit einer Nadel einen Brunnen gegraben‘. Das haben wir wahrhaftig getan. Für uns als Mütter wurde dieser Brunnen auch mit dem Blut unserer Kinder gegraben. Wir trinken aus diesem Brunnen und tragen damit dieses Blut in uns. Aus diesem Grund steht das revolutionäre Volk heute entschlossen auf den Beinen. Jeden Tag gibt es das Versprechen, keinen Schritt zurückzuweichen.“