Tamara Garabet Sarkis ist Mitglied des ersten armenischen Bataillons in Syrien. Die 33-Jährige ist Mutter von acht Kindern. Seit 2011 beteiligt sie sich an den in Rojava gegründeten Verteidigungskräften. Zuerst war sie bei YXK, dann bei den YPG/YPJ/QSD und jetzt ist sie im Bataillon „Şehid Nubar Ozanyan“, das im April 2019 gegründet wurde.
Als die Al-Nusra-Front und der IS 2012 die Grenze überquerten und Serêkaniyê angriffen, nahm Tamara als YPG-Mitglied an der aktiven Verteidigung in der Stadt teil. In den Reihen der YPJ war sie ununterbrochen am Kampf gegen den IS beteiligt. Sie war auch im Widerstand gegen den vom türkischen Staat am 9. Oktober gestarteten Besatzungsangriff auf Serêkaniyê. Mit einer verletzten Freundin musste sie die Front verlassen. Jetzt hilft sie den Menschen, die vor der türkischen Invasion aus Serêkaniyê geflüchtet sind. An die Völker der Welt und insbesondere die armenischen Frauen appelliert sie, gegen die türkischen Angriffe aufzustehen.
Seit 2011 in der revolutionären Arbeit
Viele ihrer Vorfahren sind 1915 beim Genozid an den Armeniern ums Leben gekommen, erzählt Tamara Sarkis. Die Überlebenden haben sich unter den Kurden und Arabern in Syrien versteckt:
„Heute suchen wir uns wieder als Menschen und sammeln die verbliebenen Mitglieder unserer Familie. 2011 haben die Vorbereitungen für die Revolution von Rojava stattgefunden. Als armenische Frau habe ich mich daran beteiligt. Ich bin verheiratet und habe acht Kinder. Meine jüngste Tochter ist nie bei mir gewesen. Als sie geboren wurde, kam die Revolution. Ich habe mein Kind bei meiner Familie gelassen und zur Waffe gegriffen, um sie und mein Volk zu verteidigen.“
Keine Rechte als Frauen
Kurz nach Beginn der Revolution hat der türkische Staat dschihadistische Gruppen der FSA („Freie Syrische Armee“) und der Al-Nusra-Front nach Rojava gebracht und Serêkaniyê angreifen lassen, erzählt Tamara: „Damals hatten wir kaum Waffen. Ich habe die Waffe meiner Familie genommen. Die Türkei hat die FSA über die Grenze im Norden gelassen, damit sie uns angreift. Wir haben uns als Kurden, Araber, Suryoye und Armenier gemeinsam verteidigt und die Angriffe zurückgeschlagen. Damals gab es die QSD (Demokratische Kräfte Syriens) noch nicht, aber wir kannten die Vorstellungen Abdullah Öcalans. Bei uns zu Hause gab es Bücher von ihm, wir haben sie gelesen. Dadurch haben wir uns als Frauen selbst gesehen. Die Gedanken in den Büchern gaben uns Kraft. Wir lebten in Syrien und hatten als Frauen keine Rechte. Durch Abdullah Öcalan haben wir uns selbst und unsere Rechte kennengelernt. Damals haben viele Frauen zu den Waffen gegriffen.“
Mit dem armenischen Bataillon im Widerstand
2013 trat Tamara den neugegründeten Frauenverteidigungseinheiten YPJ bei und kämpfte gegen den IS. Nach dem militärischen Sieg über die islamistische Organisation wurde das armenische Bataillon „Şehid Nubar Ozanyan“ gegründet: „Ich war Mitglied der YPJ und QSD. Als ich den Freundinnen von den YPJ sagte, dass ich ein armenisches Bataillon gründen möchte, hinderten sie mich nicht daran. Im Gegenteil, sie fanden es sehr gut, dass wir eine eigene Verteidigungskraft gründen wollten. In dem Bataillon haben wir auch zur armenischen Kultur und Sprache gearbeitet. Aber dann hat der Feind in gleicher Form angegriffen, wie er 1915 anderthalb Millionen Armenier getötet hat. In dem Bewusstsein, dass ein freies Leben unter der Besatzung nicht möglich ist, haben wir uns an der Verteidigung von Serêkaniyê beteiligt. Der türkische Staat hat wieder das kurdische, armenische, arabische und alle anderen Völker angegriffen. Unsere Dörfer mussten evakuiert werden, die Bevölkerung musste Serêkaniyê verlassen, aber unser Widerstand geht weiter. Wir werden Erdoğans schmutziger, unmoralischer, unmenschlicher und gewissenloser Armee, die ohne Hemmungen Frauen, Kinder und Alte ermordet, eine Niederlage zufügen. Erdoğan greift mit chemischen Waffen an. Warum schweigen die Staaten weltweit dazu? Warum werden unsere Kinder mit chemischen Waffen verbrannt?“
„Vor meinen Augen wird der Genozid wieder lebendig“
Tamara verweist darauf, dass der türkische Staat behauptet, der Angriff richte sich gegen Terroristen: „Weil wir unser Land, unsere Kinder und unser Leben verteidigen, nennt die Türkei uns Terroristen, und die Welt tut nichts dagegen. Sind wir Terroristen, weil wir uns verteidigen? Haben wir keine Rechte? Wo sind die Menschenrechte, über die auf der Welt so viel geredet wird? Haben wir keine Rechte, weil wir auf dem richtigen Weg sind und auf Geschwisterlichkeit setzen?
Ich möchte den Menschen weltweit etwas mitteilen: Seit acht Jahren sind überall in Rojava Menschen gefallen. Wir werden weiter sterben und uns trotzdem nicht vernichten lassen. Als Kurden, Araber, Armenier und Suryoye wollen wir ein demokratisches Syrien. Wir wollen die Türken nicht. Ich bin Armenierin und durch die Angriffe des türkischen Staates ist vor meinen Augen der Genozid von 1915 wieder lebendig geworden.“
„Die QSD sind unsere Verteidigungskräfte“
Tamara Sarkis erinnert daran, dass die QSD die gesamte Gesellschaft verteidigen, ohne Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen und Religionen zu machen: „Ich habe meine Kinder seit acht Jahren kaum gesehen. Die Türkei hat uns ihre dschihadistischen Banden geschickt, um uns ein weiteres Mal zu ermorden. Ich habe mich den militärischen Kräften angeschlossen, um mich, meine Kinder und die Menschheit zu verteidigen. Das tue ich auch heute noch. Ich appelliere an die Völker der ganzen Welt, an die Armenier und die armenischen Frauen: Steht auf und reicht den Völkern Syriens die Hand. Lasst uns die Massaker des türkischen Staates beenden.“