Achter Jahrestag des Massakers im Rathaus von Qamişlo

Am 11. März 2014 ermordeten Dschihadisten elf Mitarbeiter:innen der Stadtverwaltung von Qamişlo. Ein Killerkommando zog mordend durch das Rathaus. Nur durch den Einsatz von Einzelnen konnte noch schlimmeres verhindert werden.

In Rojava und insbesondere in Qamişlo gedenken heute die Menschen der Opfer des Massakers im Rathaus von Qamişlo am 11. März 2014. Zwei Selbstmordattentäter hatten die Wachen vor der Tür erschossen und waren in das Gebäude Handgranaten werfend eingedrungen. Die Dschihadisten aus von der Türkei gestützten Terrororganisationen hatten die Selbstverwaltung als entscheidendes Merkmal der Revolution von Rojava ins Visier genommen und Ibrahîm Ezîz, Rewşen Mihemed Zekî, Fehed Ebdilezîz, Mûsa Azad Mûsa, Elî Bora, Cîhan Murad, Emîna Bilal, Ferhad Ebdilezîz Osman, Elaedîn Ebdililah, Awaz Mehmûd Mihemed und die schwangere Frauenvertreterin von Qamişlo, Helepçe Xelîl, ermordet.


Unter den Verletzten befand sich der damalige Ko-Bürgermeister von Qamişlo, Muaz Abdulkarim von der Zukunftspartei Syriens. Er berichtet gegenüber der Nachrichtenagentur ANHA über die Situation vor dem Angriff: „Mit dem Beginn der Rojava-Revolution wurden die Institutionen der Selbstverwaltung neu aufgebaut und es gab zahlreiche Angriffe auf sie. Es war erst zwei Jahre her, dass die Stadtverwaltung gegründet worden ist. Wir hatten gerade erst damit begonnen, unsere Arbeit aufzubauen. In dieser Zeit wurde auch die Selbstverwaltung ausgerufen, und die Entwicklung dieser Institution bedeutete auch die Entwicklung der Selbstverwaltung. Das war einer der Gründe, warum das Rathaus ins Visier genommen wurde. Die Stadtverwaltung von Qamişlo war allen für ihre Arbeit während dieses Aufbauprozesses bekannt. Die Arbeiten der Stadtverwaltung wurden vom Geheimdienst des Regimes und den Söldnergruppen genau verfolgt und auf dieser Grundlage fand ein geplanter Angriff statt.

Muaz Abdulkerim, damaliger Ko-Bürgermeister von Qamişlo

Ein vorbereiteter Angriff“

Der ehemalige Ko-Bürgermeister erinnert sich: „Das Rathaus befand sich zu dieser Zeit im Stadtzentrum von Qamişlo. Unsere Sicherheitsleute waren für eine andere Operation woanders, und die Angreifer nutzten dies aus. Zwei Täter eröffneten das Feuer auf die Sicherheitsleute am Eingang. Dann drangen Söldner mit Gewehren und Sprengstoffwesten in das Gebäude ein und begannen zu schießen. Ich arbeitete damals in meinem Büro. Alle unsere Angestellten waren Zivilistinnen und Zivilisten, nur die Sicherheitsleute hatten Waffen. Wenn man sich die Art und Weise ansieht, wie angegriffen wurde, dann wird klar, dass dies ein geübter, vorbereiteter Angriff war.

Mitarbeiter opfert sein Leben zur Rettung seiner Kolleg:innen

Die Angreifer schossen mit Kalaschnikows um sich, gingen von Raum zu Raum und warfen Handgranaten. Sie warfen auch zwei Granaten in mein Büro, und ich wurde am Bein verletzt. Ich konnte mich retten, indem ich auf den Balkon ging. Am Ende sprengten sie sich an zwei Orten mit vielen Menschen in die Luft. Einer von ihnen sprengte sich im Sitzungssaal und der andere im Finanzbüro. Später stellte sich heraus, dass der Mitarbeiter Şehîd Fehed bemerkt hatte, dass sich der Angreifer im Sitzungssaal in die Luft sprengen wollte. Also warf er sich auf ihn, damit die übrigen nicht verletzt würden. Fehed und Ali kamen im Sitzungssaal ums Leben, Emine, Helepçe, Cihan und Ibrahim wurden im Finanzbüro ermordet. Der Freund Awaz wurde auf der Treppe getötet und der Freund Ara wurde im Bürgermeisterbüro durch einen Kopfschuss umgebracht.“

Vorsichtsmaßnahmen wurden ergriffen“

Muaz Abdulkarim erinnert sich, dass die Dschihadisten damals immer wieder belebte Plätze mit Fahrzeugbomben angegriffen haben und dass der Angriff auf das Rathaus eine neue Qualität der Attacken darstellte. Nach dem Angriff wurden die Sicherheitsmaßnahmen für Gebäude der Selbstverwaltung daher deutlich erhöht.

Ein schmerzhafter Tag im März“

Die damalige Ko-Bürgermeisterin Sema Bektaş von der Partei der Demokratischen Einheit (PYD) befand sich ebenfalls zu der Zeit im Gebäude. Sie sagt: „Wie jeder weiß, ist der März für die Kurdinnen und Kurden ein Monat des Schmerzes und des Glücks. Das Massaker von Qamişlo am 11. März 2014 war für uns ein schmerzhaftes Ereignis. Wie alle wissen, organisierte sich unser Volk mit Beginn der Rojava-Revolution auf der Grundlage des dritten Wegs und baute seine Selbstverwaltung auf. Die ersten öffentlichen Einrichtungen, die 2012 aufgebaut wurden, waren die Stadtverwaltungen. Diese Institutionen wurden auf der Grundlage der Bedürfnisse der Menschen geschaffen und dienten ihnen. Bis 2014, als die Selbstverwaltung ausgerufen wurde, waren die Rathäuser die wichtigsten Institutionen, an die sich die Menschen wandten, wenn sie irgendeinen Bedarf hatten. Damals standen wir im Dialog mit den Stadtverwaltungen in Nordkurdistan. Delegationen der Stadtverwaltung von Qamişlo nahmen an Konferenzen in Amed und Ankara teil, um das von ihnen praktizierte Modell des Kommunalismus und des Ko-Vorsitzes in den Stadtverwaltungen und ihre Arbeit in der Rojava-Revolution zu erklären.

Sema Bektaş, damalige Ko-Bürgermeisterin von der PYD

Ein direkter Angriff auf die Selbstverwaltung“

Bektaş weiter: „Die Ausrufung der Selbstverwaltung in den Kantonen Efrîn, Kobanê und Cizîrê im Jahr 2014 war ein historischer Schritt für das kurdische Volk und die Bevölkerung der Region. Als der Krieg in ganz Syrien andauerte, organisierten und erklärten die Völker von Rojava ihre eigene Selbstverwaltung. Der Angriff von Qamişlo zielte auf diese wichtigen Entwicklungen. Das Ziel des Massakers war klar, es ging darum, das Vertrauen in die Selbstverteidigung der Region zu stören, Angst zu verbreiten und die Errungenschaften der Völker zunichtezumachen.“

Bei der Vorbereitung für das Gedenken an die Gefallenen vom 12. März 2004

Am Tage des Massakers liefen die Vorbereitung für das Gedenken an das Massaker vom 12. März 2004 im Rathaus von Qamişlo auf Hochtouren. Sema Bektaş erinnert sich: „Als Gemeinde diskutierten wir gerade über unsere Vorbereitungen zum Gedenken und darüber, was unsere Botschaft an den Feind sein sollte. Wir planten, für unsere Gefallenen Bäume zu pflanzen. Dann wurde unser Rathaus jedoch am 11. März zum Ziel des brutalen Angriffs. Das Rathaus war keine militärische Einrichtung. Es war eine offen zugängliche zivile Institution, in der Kurd:innen, Araber:innen und Suryoye arbeiteten. Es war das erste Mal, dass die IS-Söldner eine Institution auf diese Weise ins Visier genommen hatten. Bis dahin hatten sie immer mit Fahrzeugbomben angegriffen.“

Gefragt nach den Veränderungen, die der Angriff mit sich brachte, sagt Bektaş: „Unsere Freund:innen, die bei dem Angriff getötet wurden, hatten hart an der Gründung der Stadtverwaltung von Qamişlo und ihren Komitees gearbeitet. Ihr Verlust war sehr schmerzhaft für uns, aber wir setzten unsere kommunale Arbeit fort und gaben damit unsere Antwort auf den Angriff. Zu dieser Zeit existierten solche Stadtverwaltungen in ein paar Städten. Heute gibt es sie in ganz Nord- und Ostsyrien. Es wurde ein Komitee der Stadtverwaltungen eingerichtet, und unsere Rathäuser unterhalten Beziehungen zu Kommunen auf der ganzen Welt. Dieser Angriff hat also das Ziel, den Willen unseres Volkes zu brechen, nicht erreicht. Jedes Mal, wenn wir einen Schritt in Richtung Freiheit machen, wenn wir einen Sieg erringen, greift der Feind heftiger an. Angriffe wie dieser und andere können ein entschlossenes Volk jedoch niemals entmutigen. Im Gegenteil, sie stärken unsere Entschlossenheit, den Weg unserer Gefallenen fortzusetzen.“

Bektaş schließt mit den Worten: „Ich möchte den Familien der Gefallenen mein Beileid aussprechen. Ich wiederhole meine Überzeugung, dass der demokratische, ökologische Kommunalismus sein Ziele erreichen und trotz aller Schwierigkeiten eine Antwort auf die Bedürfnisse der Menschen darstellen wird.“

Am 11. März zünden die Menschen in Qamişlo im Gedenken an die Gefallen Kerzen vor dem ehemaligen Gebäude des Rathauses an und besuchen die Gräber der Gefallenen. Sie bleiben unvergessen.