Kurd:innen in Europa diskutieren neue Medienstruktur

In Belgien beraten sich kurdische Presseleute bei einem Treffen, das einen Impuls für die Gründung eines europaweiten Zusammenschlusses geben soll. Ziel ist es, eine Plattform zu schaffen, die pluralistisch, parteiunabhängig und professionell arbeitet.

„Zeit für eine unabhängige kurdische Medienorganisation“

Mehr als 70 kurdische Journalist:innen aus ganz Europa sind in der belgischen Stadt Aalst zusammengekommen, um über die Zukunft des kurdischen Journalismus zu diskutieren. Im Fokus stehen die schwierige Situation der kurdischen Medienlandschaft, die Herausforderungen von Exil-Pressearbeit und die Notwendigkeit einer neuen, unabhängigen und inklusiven Organisation.

Vertreter:innen zahlreicher Medienhäuser nehmen an dem zweitägigen Treffen teil, darunter Stêrk TV, ANF, Ronahî TV, Channel 8, Çira TV, Medya Haber, Jin TV, YRA-Rojava, NRT, Aryen TV, Metro Center, RONÛS, DFG, Zoom TV, KNN, Dengê Welat, CAN TV, Medya News, Deng TV, Malpera Ciwanan sowie freiberufliche Presseleute und ein kurdischer Redakteur der französischen Regionalzeitung „La Marseillaise“.

Journalismus im Spannungsfeld von Repression und Parteibindung

In der Eröffnungsrede unterstrich die Journalistin Niyaz Abdullah aus Südkurdistan die gravierenden Probleme, mit denen Medienschaffende im Exil konfrontiert sind: Einschränkungen der Meinungsfreiheit, fehlende rechtliche Sicherheit und politische Verfolgung. „Die Pressefreiheit wird überall auf der Welt massiv eingeschränkt“, betonte sie. Vor diesem Hintergrund sei es dringend notwendig, eine unabhängige kurdische Vereinigung zu gründen, die internationale Standards wahrt und Schutz bietet.

Politische Umbrüche und mediale Verantwortung

Der Akademiker und Journalist Kamal Chomani verwies auf die globalen Krisen und ihre Auswirkungen auf Kurdistan. Insbesondere autoritäre Tendenzen und kriegerische Entwicklungen setzten Medienschaffende unter Druck. Er kritisierte, dass große Teile der kurdischen Medienlandschaft weiterhin stark von politischen Parteien kontrolliert würden und plädierte für eine kritischere, demokratischere Berichterstattung: „Wir brauchen mehr Raum für offene Debatten und unterschiedliche Perspektiven. Nur so können wir eine moderne Medienkultur entwickeln.“

Auch die Journalistin Ronî Eylem betonte die strategische Rolle der kurdischen Medien im Kontext der aktuellen Umbrüche im Nahen Osten. Eine zeitgemäße kurdische Presse müsse demokratische Werte, Menschenrechte, Frauenrechte und Umweltschutz in den Mittelpunkt stellen.

Kritik an parteigebundener Berichterstattung

Der Journalist Amed Dicle wies darauf hin, dass politische Spaltungen in der kurdischen Bewegung auch die Medienlandschaft tiefgreifend prägen. Eine tatsächliche Erneuerung könne nur gelingen, wenn die politischen Parteien bereit seien, ihren Einfluss auf die Presse zu hinterfragen.

Der Journalist Selahattin Soro ergänzte, dass die gegenwärtige geopolitische Lage sowohl Chancen als auch Gefahren für Kurd:innen berge. In dieser Situation komme den Medien eine zentrale Aufgabe zu: eine gemeinsame Sprache zu entwickeln und objektive Informationen bereitzustellen.

Hesen Qazî erinnerte daran, dass es bereits seit den 1990er-Jahren Bemühungen gegeben habe, exilierte kurdische Journalist:innen zu organisieren – allerdings bislang ohne nachhaltigen Erfolg. Er warnte davor, erneut dieselben Fehler zu machen.

Digitale Transformation: Chance und Risiko zugleich

Cahit Mervan thematisierte den Wandel der klassischen Medienlandschaft durch das Internet. Während die Digitalisierung neue Möglichkeiten eröffne, berge sie auch Gefahren: „Digitale Medien schaffen neue Monopole und sind anfällig für Desinformation.“ In der kurdischen Presse seien weiterhin viele Plattformen parteipolitisch gebunden. Mervan rief daher zu mehr Selbstkritik auf – sowohl in den Medienhäusern selbst als auch innerhalb der politischen Bewegungen.

Rojava als Vorbild – und Herausforderung

Die Ko-Vorsitzenden der Rojava-Sektion des Verbands freier Medien (YRA), Dilyar Cizîrî und Evîn Îbrahîm, schalteten sich per Zoom zu. Cizîrî berichtete, dass in Rojava rund 100 lizenzierte Medienorgane aktiv seien – ein bemerkenswerter Wert angesichts der kriegsbedingten Lage in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien. Rojava sei inzwischen ein Hoffnungsträger für die gesamte kurdische Medienlandschaft, so Cizîrî, der auch an die bei türkischen Luftangriffen getöteten Journalist:innen erinnerte.

Evîn Îbrahîm betonte den starken Beitrag von Frauen zur medialen Entwicklung in Rojava. Rund 70 Prozent der dort tätigen Medienschaffenden seien Frauen – ein Novum in der Region. Es gelte nun, diese Dynamik auf alle Teile Kurdistans zu übertragen und den feministischen Blick in der Berichterstattung zu stärken.

Medienmacht, Ethik und Unabhängigkeit

Der Journalist und Autor Günay Aslan richtete abschließend den Blick auf das Selbstverständnis journalistischer Arbeit. Er mahnte, dass Medien nicht zu bloßen Sprachrohren von Machtinteressen werden dürften – sondern ihrer eigentlichen Aufgabe, der Information und Aufklärung der Öffentlichkeit, gerecht werden müssten.

Der Weg zu einer neuen Struktur

Das zweitägige Treffen soll einen Impuls für die Gründung eines europaweiten Zusammenschlusses kurdischer Journalist:innen geben. Ziel ist es, eine Plattform zu schaffen, die pluralistisch, parteiunabhängig und professionell arbeitet. Für den morgigen Sonntag und darüber hinaus stehen noch viele Diskussionen bevor – über Struktur, Ziele, Finanzierung und politische Unabhängigkeit. Klar ist: Die Notwendigkeit einer neuen Organisation wird von den meisten Beteiligten nicht mehr infrage gestellt.