Die Vorwürfe gegen unliebsame Journalistinnen und Journalisten in der Türkei werden immer absurder. Das zeigt ein aktueller Fall aus der Provinz Adana im Süden des Landes. Dort muss sich Volkan Pekal, ein Korrespondent der linken Zeitung Evrensel, mit kafkaesken Vorwürfen der Sicherheitsbehörden herumschlagen. Pekal wird beschuldigt, bei einer Presseerklärung die „Arbeitsfreiheit“ von Angestellten einer Textilfabrik „behindert“ zu haben. Angezeigt wurde der Journalist aber nicht etwa von Arbeiterinnen oder Arbeitern, sondern dem Besitzer der Fabrik – der, wie sollte es auch anders sein, der AKP-Regierung nahesteht.
Die Abgabe der Presseerklärung, die mit den Ermittlungen gegen Pekal verbunden ist, fand am 7. Juli vor der Zentrale des Textilherstellers Aytek statt. Mit der Aktion wurde gegen einen Vorfall nur wenige Tage zuvor protestiert, als Mitglieder der „Partei der Arbeit“ (Emek Partisi, EMEP) beim Flugblattverteilen vom Besitzer des Konzerns angegriffen wurden. Die Zettel beinhalteten Informationen über die Pläne der AKP-Regierung, die Abfindungsbestimmungen zu ändern. Noch am selben Tag wurden elf EMEP-Mitglieder, darunter auch die Provinzvorsitzende Sevil Aracı und Halil Imrek aus dem Parteivorstand, vom Aytek-Besitzer angezeigt. Auch gegen den Journalisten Volkan Pekal, der die Aktion beruflich verfolgte, wurde Anzeige erstattet.
Fabrikanten kriminalisieren berechtigte Proteste
„Nach dem Protokoll der Polizei sieht es so aus, als hätte ich als Aktivist an der Verlesung der Presseerklärung teilgenommen. Aber auch wenn dem so gewesen wäre, die Aktion war legal. Die Kriminalisierungsversuche, um berechtigten Protest zu unterdrücken, verwundern nicht, wenn man sich das Bild eines Textilfabrikanten anschaut, der beste Beziehungen zu der Regierung pflegt“, kommentiert Pekal die Ermittlungen gegen ihn und elf EMEP-Mitglieder.
„Jedes Jahr sinken die Löhne von Werktätigen, während die Taschen der Konzernchefs immer praller werden. Immer mehr Arbeiter werden illegal beschäftigt, Kinder werden als Zwangsarbeiter ausgebeutet. Ihr Leben wird in den dunklen Ecken von Fabriken ausgelöscht. Dagegen geht der Staat selbstverständlich nicht vor, aber sobald ein ausbeuterischer Chef Sanktionen gegen Leute wie uns verlangt, werden die Behörden aktiv“, kritisiert der Evrensel-Korrespondent.
Neuer Anlauf der AKP zur Änderung der Abfindungsbestimmung
Seit die AKP in der Türkei an der Macht ist, bemüht sich die türkische Regierung darum, die bestehende Abfindungsregelung für abhängig Beschäftigte im Falle einer Kündigung zu ändern. Gedacht wurde dabei stets an einen Fonds, der ähnlich der privaten Altersvorsorge durch Beiträge von Arbeitgebern und Beschäftigten sowie einem staatlichen Zuschuss gespeist werden soll. Dass diese Pläne nicht verwirklicht wurden, liegt größtenteils am Widerstand der Gewerkschaften, die vor allem den Verlust bereits erworbener Rechte befürchten. Erfahrungen mit öffentlichen Fonds in der Türkei sind ohnehin nicht unbedingt ermutigend. Der Arbeitslosenfonds beispielsweise konnte die Kurzarbeitergeld-Zahlungen im Zuge der Corona-Pandemie nur leisten, weil die Zentralbank dem Arbeitslosenfonds im großen Stil Staatsanleihen abkaufte. Denn die Gelder des Fonds wurden überwiegend nicht als Arbeitslosengeld oder Beschäftigungsförderung verwendet, sondern zum Kauf von Staatsanleihen. Wirft man einen Blick auf die aktuelle Konstellation, in der der Staat eine Änderung des Systems verlangt, Sozialpartner jedoch aus unterschiedlichen Gründen dagegen sind, liegt der Gedanke nahe, dass auch dieser Fonds eine neue Säule in der Haushaltsfinanzierung werden könnte. Hinzu kommt, dass den verschiedenen Gerüchten über das neue Modell zufolge eine Abfindung bei Kündigung wegfallen soll.