„Was die Gefangenen tötet, ist das mangelnde Interesse“
In den Gefängnissen der Türkei herrschen katastrophale Zustände. Nach Meinung von Rechtsanwalt Baran Çelik kann nur öffentlicher Druck den Gefangenen helfen.
In den Gefängnissen der Türkei herrschen katastrophale Zustände. Nach Meinung von Rechtsanwalt Baran Çelik kann nur öffentlicher Druck den Gefangenen helfen.
Folter und Rechtsverletzungen in türkischen Gefängnissen werden täglich schlimmer. Der Ausnahmezustand ist zwar offiziell aufgehoben, aber die Repression in den Gefängnissen hält an. Beim Transport ins Krankenhaus werden kranke Gefangene von Wächtern und Soldaten geschlagen und beleidigt. Ein tragisches Beispiel für die Misshandlung von Gefangenen war der Fall von Koçer Özdal (65), der vor einigen Tagen im Numune-Krankenhaus in Ankara an einer schweren Erkrankung gestorben ist. Bis zum letzten Atemzug war Özdal an Händen und Füßen an das Bett gefesselt.
Rechtsanwalt Baran Çelik ist Sprecher der Gefängniskommission der Plattform freiheitlicher Jurist*innen (Özgürlükçü Hukukçular Platformu, ÖHP). Gegenüber ANF äußerte er sich zu der Situation politischer Gefangener in der Türkei. Laut Çelik spielt die öffentliche Wahrnehmung der Rechtsverletzungen in Haftanstalten eine wichtige Rolle: „Was in den Gefängnissen geschieht und was den Gefangenen angetan wird, akzeptieren wir nicht. Als diejenigen, die draußen sind, müssen wir viel größere Solidarität mit denen, die drinnen sind, zeigen. Wir müssen alles unternehmen, was uns möglich ist, damit dieses Vorgehen gegen die Gefangenen ein Ende findet. Der Staat will die Gefangenen töten, aber was sie eigentlich tötet, ist die fehlende Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.“
Tausende kranke Gefangene
Die Gefängnispolitik der Regierung führe zu unumkehrbaren Schäden bei den Gefangenen, sagt Çelik. Die Sorge um die Gefangenen werde tagtäglich durch das staatliche Vorgehen als berechtigt bestätigt. Die Haftbedingungen und die gegen die Gefangenen angewandten Methoden werden nach Meinung des Rechtsanwalts zunehmend schlimmer.
Im Verweis auf das Schicksal von Koçer Özal erklärt Çelik: „Es gibt viele weitere Gefangene, die in der Haft einen Überlebenskampf führen. Sie werden unrechtmäßig weiter in Haft gehalten. Eine medizinische Behandlung findet nicht rechtzeitig und nicht im notwendigen Ausmaß statt. Beim Transport zur Behandlung sind sie oftmals einem entwürdigenden Vorgehen ausgesetzt.“
Nur wenige solcher Fälle gelangen überhaupt an die Öffentlichkeit, so Çelik.
Überbelegung der Gefängnisse
Eine der Rechtsverletzungen in türkischen Haftanstalten sei die Überbelegung, führt der Rechtsanwalt weiter aus. „Die Gefängnisse quellen über. Im Moment sind fast doppelt so viele Menschen inhaftiert, wie die eigentliche Kapazität der Gefängnisse vorsieht. In einigen Großzellen bekommen die Menschen nicht einmal genug Luft zum Atmen. Eine weitere Rechtsverletzung ist die unzureichende Versorgung mit Essen und heißem Wasser.“
Mangelnde Gesundheitsversorgung und eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten
Ein großes Problem im Gefängnis ist die mangelnde Gesundheitsversorgung, so Çelik. „In einigen Gefängnissen müssen die Gefangenen monatelang auf einen Zahnarzttermin warten. Außerdem ist das Recht auf schriftliche Kommunikation stark eingeschränkt, Briefe werden mit großer Verzögerung ausgehändigt.“
Um die Probleme zu lösen, muss eine Öffentlichkeit hergestellt werden, meint Rechtsanwalt Çelik. Insbesondere weil das Recht der Gefangenen auf eine Kommunikation mit der Außenwelt beschnitten wird, muss die Öffentlichkeit aufmerksamer mit den Problemen der Gefangenen umgehen. Das gelte insbesondere für Journalisten, Rechtsanwälte, Abgeordnete, Künstler und Aktivist*innen. Niemand dürfe sich mehr taub stellen, da das Justizministerium wie ein Racheinstrument des Staates agiere, erklärt Rechtsanwalt Çelik abschließend.