Wan: Steigendes Corona-Infektionsrisiko in den Gefängnissen
Ein neuer Bericht verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen warnt vor der gestiegenen Infektionsgefahr in den Gefängnissen der Türkei.
Ein neuer Bericht verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen warnt vor der gestiegenen Infektionsgefahr in den Gefängnissen der Türkei.
In den Räumlichkeiten der Gefangenenhilfsorganisation TUHA-DER in Wan wurde ein Report zur Situation in den verschiedenen Gefängnissen in der Provinz vorgestellt. An der Veranstaltung nahmen Vertreterinnen und Vertreter der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und ihrer Mitgliedspartei DBP (Partei der Demokratischen Regionen) sowie diverser zivilgesellschaftlicher Organisationen teil. In dem Bericht wird insbesondere vor fehlenden Präventionsmaßnahmen und mangelhaften hygienischen Bedingungen in den Gefängnissen gewarnt. Diese würden die Ausbreitung der Corona-Pandemie begünstigen.
Unterzeichnet wurde der Bericht vom Verein Freiheitlicher Juristen (ÖHD), der Gefängniskommission der Anwaltskammer Wan, der Gefangenenhilfsorganisation TUHA-DER, der Ärztevereinigung Van-Hakkari, der Stiftung für Menschenrechte in der Türkei (TIHV), der Gewerkschaft der öffentlich Beschäftigten (KESK), dem Menschenrechtsverein (IHD), dem Frauenverein Star, dem Umweltverein Çev-Der und der Provinzkoordination der Ingenieurs- und Architektenkammer (TMMOB).
Es gibt keine Präventionsmaßnahmen gegen die Pandemie
Laut der Vorsitzenden des Freiheitlichen Juristenvereins in Wan, Ekin Yeter, würden die Distanz- und Hygieneregeln in den Gefängnisfahrzeugen nicht beachtet. Zudem seien die sanitären Anlagen sehr verschmutzt und ohne Seife.
Yeter betonte, dass die in den Gefängnissen gegen das Virus unternommenen Maßnahmen in keiner Weise ausreichen würden: „In vier Gefängnissen hat sich das Virus unter Teilen des Personals und der Insassen ausgebreitet. Wir sehen dort eine Einschränkung der Gefangenen in ihren Gesundheitsrechten. Eine medizinische Behandlung wird nicht adäquat durchgeführt, und es gibt keinerlei Transparenz bezüglich der Infektionszahlen.“
Laut Yeter ist das Leben der Gefangenen aufgrund der Überbelegung der Gefängnisse und der mangelnden Hygiene gefährdet. „Hygieneartikel wie Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel müssen von den Gefangenen für Geld gekauft werden und in einigen Gefängnissen sind die Preise unbezahlbar. Die Schlafräume werden nicht gründlich oder regelmäßig desinfiziert und auf dem Weg zu den Telefonen werden die Insassen durchsucht, ohne dass dabei auf die Abstandsregeln geachtet wird. Deshalb steigt die Gefahr für das Leben der Insassen und des Gefängnispersonals an“, führte Yeter weiter aus.
Keine Transparenz seitens der Gefängnisleitung
Folgende Probleme werden im vorgestellten Report thematisiert:
- Anwaltsbesuche werden unter Benutzung einer Trennscheibe zwischen Anwälten und Gefangenen durchgeführt. Der Raum scheint vor den Treffen jedoch kaum desinfiziert zu werden.
- Beim Ankommen im Besuchsraum tragen die Gefangenen Masken, jedoch keine Handschuhe. Auf dem Weg zu ihren wöchentlichen Telefonaten werden die Gefangenen unter Missachtung der Distanzregeln durchsucht, sie erhalten dafür keine Masken oder Handschuhe.
- Es ist nicht ersichtlich, mit welchem Konzept das im direkten Kontakt mit den Insassen stehende Personal vom Außenpersonal isoliert wird, und es ist unklar, wie die festgelegte Kontaktbeschränkung für die Angestellten außerhalb der Arbeitszeit überprüft wird.
- Nach Angaben von Häftlingen und Personal gab es positive Corona-Testergebnisse unter dem Wachpersonal, allerdings gibt es von Seiten der Gefängnisleitungen keine Angaben bezüglich der Fallzahlen und der Inanspruchnahme medizinischer Behandlung.
- Nach Angaben der Gefangenen werden die Zellen nur einmal in der Woche oberflächlich desinfiziert, jeder Insasse erhält nur einen halben Liter Waschmittel pro Woche und die in der Kantine erhältlichen Masken und Hygieneartikel sind noch immer zu teuer. Die Einschränkungen von Familienbesuchen und sozialen Aktivitäten dauern an: Pro Woche können die Insassen 20 Minuten lang mit ihren Familien telefonieren und sie einmal im Monat treffen. Strom, Wasser und Grundnahrungsmittel werden nicht kostenfrei zur Verfügung gestellt. Für kranke und alte Insassen werden keine zusätzlichen Maßnahmen getroffen. Bücher und andere von Angehörigen geschickte Artikel des täglichen Bedarfs werden erst nach Wochen ausgehändigt. Die Gesundheitsversorgung ist eingeschränkt, so dass außer in extremen Notfällen niemand auf die Krankenstation kommt. Da Häftlinge bei der Rückkehr von einem Krankenhausaufenthalt 14 Tage in einer Einzelzelle verbringen müssen, gehen viele alte und kranke Insassen nicht ins Krankenhaus, begonnene Behandlungen werden unterbrochen. Die Zählungen und Durchsuchungen im Gefängnis werden wie zuvor weitergeführt, wobei das Personal jedoch Masken trägt.
Viele Gefangene auf engem Raum
Neu ankommende Häftlinge müssen 14 Tage mit bis zu zehn anderen in einer kleinen Zelle in Quarantäne verbringen. Bevor sie Hygieneartikel in der Kantine kaufen können, leben die Insassen der Quarantäne-Zelle ohne Seife, Waschmittel, Bettbezüge und Kissen unter unhygienischen Umständen. In manchen Fällen wurde die Quarantäne auf mehr als 30 Tage verlängert und aufgrund der Überfüllung der Gefängnisse befinden sich bis zu 27 Menschen in Zellen, die auf 20 Personen ausgelegt sind. Einige müssen deshalb auf dem Boden schlafen. Im Fall einer chronisch kranken 68-jährigen Insassin endete die Quarantäne erst nach drei Monaten mit ihrer Verlegung in eine normale Zelle.