Die vier Flüchtlinge aus Iran, die an Ostermontag im westtürkischen Denizli festgenommen wurden, sollen abgeschoben werden. Das teilte ihre Rechtsanwältin Hayriye Buse Bergamalı gegenüber der Zeitung Evrensel mit. Eine entsprechende Entscheidung des Gerichts liege demnach bereits vor. Esmaeil Fattahi, Leili Faraji, Zeinab Sahafi und Mohammad Pourakbari Kermani waren gestern von der Polizei Denizli wegen einer behaupteten Ordnungsstörung in Gewahrsam genommen und in die Ausländerabteilung der Bezirkspolizeidirektion Pamukkale gebracht worden. Grundlage des Vorwurfs ist eine Mahnwache, die am 20. März in Denizli für den Erhalt des Frauenschutzabkommens „Istanbul-Konvention“ stattfand, aus dem sich die Türkei an dem Tag per Präsidialdekret zurückgezogen hatte. Fattahi, Faraji und Sahafi hatten sich an der Aktion beteiligt, Kermani blieb an dem Tag zu Hause. Inzwischen sind alle vier in das Abschiebezentrum in der etwa hundert Kilometer entfernten Stadt Aydın überstellt worden.
Regelmäßig Abschiebungen ins Mullah-Regime
Die Empörung über die Behandlung der Flüchtlinge aus Iran und ihre geplante Abschiebung zieht vielerorts im westlichen Kleinasien breite Kreise. Laut Bergamalı mache die rechtswidrige Anordnung erneut deutlich, dass aus den bisherigen Fehlern wenig gelernt wurde und nach wie vor die Devise gilt, dass Menschenrechte mit Füßen getreten werden sollten. In Denizli leben geschätzt 4.500 Flüchtlinge aus Ländern wie Iran, Afghanistan oder Syrien. Nur die wenigsten verfügen über einen Schutzstatus und einen sicheren Aufenthalt, ins Mullah-Regime finden sogar regelmäßig Abschiebungen statt. Die Begründungen würden aber immer absurder und menschenverachtender.
Anwaltskammer klagt über Behinderungen durch Polizei
„Wo kämen wir überhaupt hin, wenn Schutzsuchenden das Recht auf Protest von irgendwelchen Beamten verwehrt wird, um Fakten für Abschiebungen zu schaffen?“, empört sich Bergamalı. Die Juristin hat bereits Rechtsmittel gegen die gerichtliche Anordnung angekündigt. Auch die Anwaltskammer Denizli hat sich in den Fall eingeschaltet, beklagt allerdings „Hindernisse“, die der Kammer durch Polizei und Behörden in den Weg gelegt würden. So äußerte etwa die Anwältin Yağmur Yalçın aus Denizli gegenüber der Organisation für LGBTIQ-Rechte Kaos GL, dass die Anwaltskammer keine Akteneinsicht erhielte und ein Besuch bei den Flüchtlingen bislang blockiert werde.
CHP-Abgeordnete: Angst vor Solidarität
Die CHP-Abgeordnete Deniz Biçer Karaca, die zugleich menschenrechtspolitische Vizevorsitzende ihrer Partei ist, verlangte am Dienstag ebenfalls die sofortige Freilassung der vier Flüchtlinge. Dass die Schutzsuchenden in einer Nacht- und Nebelaktion bereits in ein Abschiebezentrum gebracht wurden, zeige die Verachtung bei Behörden gegenüber Menschen- und Grundrechten. Außerdem reflektiere sie die Angst vor Protesten und der Solidarität mit den Geflüchteten, erklärte Karaca. Die Sprecherin der Ortsgruppe der Frauenrechtsorganisation „Ekmek ve Gül“, Seher Zeytun Doğan, teilte mit: „Die Istanbul-Konvention gehört uns allen – so etwas wie ‚Flüchtlinge ausgenommen‘ gibt es nicht.“ Die Frauenfeindlichkeit der Regierung konkurriere mit ihrer Feindseligkeit gegenüber Flüchtlingen und ihrer Feindseligkeit gegenüber Menschenrechten, so Doğan weiter.
EMEP-Chef: Sofortige und bedingungslose Freilassung
Der Journalist Ercüment Akdeniz, der zugleich Vorsitzender der Partei EMEP ist, kennt Esmaeil Fattahi, Leili Faraji, Zeinab Sahafi und Mohammad Pourakbari Kermani persönlich. Die Geschichte von Fattahi, der als schutzsuchende Arbeitskraft ausgebeutet wurde und einen schweren Arbeitsunfall erlitt, thematisierte Akdeniz sogar in seinem Buch „Mülteci İşçiler“ (Geflüchtete Arbeiter). Auch er verlangt die sofortige und bedingungslose Freilassung der vier. Im Übrigen soll noch in ihrem Fall ein Antrag beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) über die Überführung in ein Drittland anhängig sein. Über Twitter rief Akdeniz zudem zu einer Kundgebung auf, die heute Abend in Denizli stattfindet.
Polizei will Fakten für Abschiebung schaffen
Nach Angaben der Sozialistischen Arbeiterpartei (Sosyalist Emekçiler Partisi, SEP) ist die vierköpfige Gruppe aus Iran nicht das erste Mal in Konflikt mit der türkischen Polizei. Die SEP befürchtet, dass die türkischen Behörden durch die behauptete Störung der öffentlichen Ordnung nur eine Grundlage für die Abschiebung in den Iran schaffen will. Alle vier festgenommenen Aktivist*innen werden in ihrem Heimatland verfolgt, ihnen drohen drakonische Haftstrafen und Folter.
Leili Faraji aus der ostkurdischen Stadt Serpêllî Zehaw (Sarpol-e Sahab) in der Provinz Kirmaşan beispielsweise ist den iranischen Sicherheitsbehörden ein besonderes Dorn im Auge. Ihre Schwester Maryam Faraji hatte sich Ende 2017 an den Studierenden-Protesten in Teheran beteiligt. In der Folge wurde sie festgenommen und zu drei Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis ist Faraji gefoltert worden. Gegen Meldeauflagen und ein zweijähriges Ausreiseverbot kam sie frei. Im Juli 2018 meldete sie sich gemäß der richterlichen Anordnung bei der Teheraner Polizei. Wenige Tage später tauchte ihre gefolterte und verbrannte Leiche in einem Straßengraben in der iranischen Hauptstadt auf. Leili Faraji hat lange um Gerechtigkeit für ihre Schwester und die Aufklärung der Tat gekämpft. Als sie dem Druck der Behörden nicht mehr stand hielt, flüchtete sie in die Türkei.
Zeinab Sahafi als Mann verkleidet im Fußballstadion
Auch Zeinab Sahafi saß bereits in einem iranischen Gefängnis. Sie hatte sich immer wieder in Männerkleidung in Stadien geschlichen, um ihrer Leidenschaft für den Fußball nachzugehen. Sie wurde erwischt und wegen „Verletzung der moralischen Ordnung“ verhaftet. In Iran war Frauen der Besuch von Fußballspielen im Stadion vierzig Jahre lang untersagt. Erst als eine Iranerin sich im September 2019 vor dem Gebäude des Islamischen Revolutionsgerichts in Teheran mit Benzin übergossen und angezündet hatte, wurde das Verbot aufgehoben. Der 29-Jährigen hatte eine Gefängnisstrafe gedroht, weil sie sich als Mann verkleidet in ein Fußballstadion geschlichen hatte. Sie war später an den Folgen ihrer Verbrennungen gestorben.