Türkische Menschenrechtsstiftung: Folter wird zur Norm

Bariş Yavuz von der türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV in Amed beobachtet einen Anstieg der Folterfälle in staatlichem Gewahrsam.

Folter und Misshandlungen sind seit jeher ein Bestandteil der politischen Geschichte des türkischen Staates. Mit der Ausrufung des Ausnahmezustands hat sich die Anzahl der Festnahmen und Verhaftungen stark erhöht. Das Ausmaß von Folter und Misshandlung gewinnt täglich eine neue Dimension.

Rechtsanwalt Bariş Yavuz von der Menschenrechtsstiftung Türkei (TIHV) äußert sich gegenüber ANF zu der ansteigenden Zahl von Folterfällen.

Die Stiftung sei 1990 gegründet worden, um Folteropfer bei ihrer medizinischen Behandlung und Rehabilitation zu begleiten, sagt Yavuz. „Seit 1998 gibt es eine Zweigstelle in Diyabakir. Seitdem haben wir 2600 Personen bei ihrer medizinischen Behandlung unterstützt.“

Seit dem Militärputsch vom 15. Juli 2016 sei ein immenser Anstieg von Folterfällen zu verzeichnen, fährt der Rechtsanwalt fort. „Die tatsächliche Situation entspricht dabei in keiner Weise der Anzahl der Anträge, die an uns gestellt werden. Seit der Ausnahmezustand herrscht, hat sich die Dauer der Untersuchungshaft sehr verlängert. Anfragen an uns werden im Allgemeinen nach einer Festnahme oder einem Gefängnisaufenthalt gestellt. Daher können wir in der Zeit der Folter nicht tätig werden. In der Öffentlichkeit wird ein Bild vermittelt, als ob Folter etwas Normales sei. Das gilt besonders bei ‚organisierten und terroristischen Verbrechen‘. Auch in meiner Tätigkeit als Rechtsanwalt höre ich von viel mehr Folterfällen als früher.“

Vermehrte Unterstützungsanfragen

Zu den Anfragen an die Stiftung erklärt Yavuz: „Wer die Stiftung kennt oder davon hört, kann kommen. Zum Beispiel hatten wir 2014 321 Anfragen. 2015 waren es 139. 2016 waren es 165 und davon 102 nach dem 15. August. 2017 haben wir mit 250 Anfragen abgeschlossen. In 2018 sind es bisher 23. Es gibt einen sichtbaren Anstieg. Die Anträge zu Folterfällen aus der Vergangenheit dauern an. Seit dem 15. Juli wird die Auffassung verbreitet, dass Folter etwas Normales ist. Einige internationale Verpflichtungen sind seit dem 15. Juli aufgehoben worden, aber das Folterverbot nicht. Das ist auch gar nicht möglich, denn es ist ein absolutes Verbot, das nicht verjährt.“

Die Haftbedingungen in den türkischen Gefängnissen seien eine Folter für sich, führt der Rechtsanwalt weiter aus: „Ein Großteil der Anträge aus dem Jahr 2014 erfolgte nach der Haftentlassung. Nach dem Gezi-Aufstand stieg die Anzahl der Anträge wegen der vielen Festnahmen an. Auch in dem Jahr, in dem es viele Haftentlassungen im KCK-Verfahren gab, bekamen wir viele Anträge.“

Eine Welt ohne Folter ist möglich

Für Anträge an die Stiftung werden Termine vergeben. Insgesamt ist die Annahme von 150 Anträgen jährlich vorgesehen. Das sei jedoch eine Richtlinie, die sowohl überschritten als auch unterschritten werden könne, so Bariş Yavuz. Die Stiftung arbeitet mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen und hat ständigen Kontakt zum Parlament, der Regierung und örtlichen Ansprechpartnern. „Wir haben sogar mit dem Justizministerium Fortbildungen für Richter und Staatsanwälte zum Istanbuler Protokoll durchgeführt“, sagt Yavuz. Vordringliches Ziel sei es, die Straffreiheit von Folter zu bekämpfen. „Als TIHV sagen wir, dass es eine Welt ohne Folter geben kann. Und wir denken, dass dafür ein Bewusstsein geschaffen werden muss.“