Seit sechs Jahren Angst vor Flugzeugen

Servet Encü ist einer von vier Menschen, die das Massaker von Roboskî überlebt haben. „Seit sechs Jahren bekomme ich jedes Mal Angst, wenn ich ein Flugzeug höre“, sagt er.

Am 28. Dezember 2011 wurden in Roboskî in der Provinz Şirnex (Şırnak) in Nordkurdistan (Türkei) 34 Menschen bei einem Luftangriff des türkischen Militärs getötet. Von den 34 Opfern waren 19 minderjährig. Seitdem sind sechs Jahre vergangen. Bis heute ist niemand für dieses Verbrechen vor Gericht gestellt worden.

Die Hinterbliebenen kämpfen trotzdem weiter dafür, dass die Verantwortlichen verurteilt werden. Jeden Donnerstag versammeln sich die Angehörigen der Opfer auf dem Friedhof in Roboskî, um ihre Forderung nach Gerechtigkeit zu wiederholen. Seit 312 Wochen verhallt ihre Forderung ungehört.

Prozesse nicht gegen die Täter, sondern gegen die Hinterbliebenen

Ein von den Angehörigen angestrengtes Verfahren ist eingestellt worden. Da die juristischen Möglichkeiten in der Türkei somit ausgeschöpft waren, haben sich 281 Hinterbliebene an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt. Auch hier ist bisher keine Entwicklung zu verzeichnen. Gegen die Angehörigen wurden hingegen Dutzende Strafverfahren aufgrund von Presseerklärungen und Aktionen eingeleitet.

Wirtschaftliche Not

Da der Grenzverkehr seit dem vergangenen Jahr vollständig unterbunden worden ist, haben viele Familien in Roboskî und Umgebung außerdem große wirtschaftliche Probleme. Viele der Weidegebiete und Felder sind zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden, daher müssen viele Anwohner ihren Lebensunterhalt als Saisonarbeiter in der Ferne verdienen. Andere verlassen das Dorf, um in Großstädten zu arbeiten, oder arbeiten unter Lebensgefahr für ein geringes Entgelt in den Kohlebergwerken in der Umgebung.

In Roboskî soll weiterhin das Dorfschützersystem ausgebaut werden. Knapp 100 junge Männer, die diese Tätigkeit für den türkischen Staat ablehnen, mussten daher das Dorf verlassen.

„Was bombardieren sie als nächstes?“

Servet Encü (38) ist einer von vier Menschen, die das Massaker überlebt haben. Er könne diesen Moment einfach nicht vergessen, sagt er: „Ich muss ständig daran denken, wie die Körperteile um mich herum geflogen sind. Wann immer ich an dem Friedhof vorbeigehe, fühle ich mich, als hätten wir diese 34 Menschen gerade erst beerdigt. Ich will nur noch, dass die Täter ausfindig gemacht werden. Wer hat diese 34 Menschen ermordet?“

Seit sechs Jahren habe er das Dorf nicht verlassen, um einer drohenden Verhaftung zu entgehen, sagt Encü. Nach dem Massaker sei er dazu gedrängt worden, sich als Dorfschützer zu betätigen. Das habe er abgelehnt. „Ich zucke jedes Mal zusammen, wenn ich ein Flugzeug höre. Ich muss dann daran denken, wie es bei der Bombardierung plötzlich hell wurde. Und ich frage mich, wo sie die nächsten Bomben abwerfen werden.“

MA / Gökhan Altay