Die Initiative der Istanbuler Samstagsmütter ist zum 828. Mal zusammengekommen, um die staatliche Praxis des „Verschwindenlassens” anzuprangern und Gerechtigkeit für die Opfer zu fordern. Thematisiert wurde im Rahmen der pandemiebedingt virtuell gehaltenen Mahnwache das Schicksal des Lehrers Maksut Tepeli, der vor 37 Jahren in der Abteilung der politischen Polizei in Istanbul-Gayrettepe verschwunden ist.
Seine Frau Şehriban Tepeli sagte bei der digitalen Mahnwache: „Als mein Mann festgenommen wurde, war meine Tochter zweieinhalb Jahre alt. Jetzt ist sie 39 und wartet immer noch darauf, dass ihr Vater zurückkommt. Ich habe auch Enkel, sie warten ebenfalls. Wir wissen, dass mein Mann nicht wiederkommen wird. Ich möchte jedoch den Ort seines Grabes wissen, damit ich es meinen Enkeln und meiner Tochter zeigen kann. Nicht wäre natürlicher und menschlicher. Wir sind auf der Suche nach Menschen, die wir mehr lieben als unser eigenes Leben. Was wir wollen, ist ein bisschen Empathie.“
Verletzt festgenommen
Die Familie Tepeli wird juristisch von Gülseren Yoleri vertreten, der Vorsitzenden der Istanbuler Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD. Die Rechtsanwältin führte aus, dass Tepeli bei seiner Festnahme verletzt war. Er wurde jedoch nicht ins Krankenhaus gebracht, sondern zur politischen Polizei, so Yoleri: „Er wurde beim Verhör gefoltert. Als sich sein Zustand verschlechterte, wurde er ins Haydarpara-Krankenhaus gebracht. Seitdem gibt es keine Spur mehr von ihm. Seine Frau musste mit ihrem Kind das Land verlassen, weil sie gesucht wurde. Bis 2003 bekam sie keinerlei Informationen über Maksut. Als sie in die Türkei zurückkehrte, musste sie feststellen, dass sie als Witwe registriert ist. Sie stellte Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Kadiköy. Die Staatsanwaltschaft schrieb viele Behörden an, aber diese hielten das Schicksal von Maksut drei Jahre lang geheim. 2006 kam die Information, dass Maksut im Krankenhaus verstorben ist. Seine Familie wollte wissen, wo sein Grab ist, aber die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein. Alle Widersprüche dagegen wurden abgelehnt. Danach folgte ein Antrag beim Verfassungsgericht. Als dort kein Urteil erging, wurde der Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht. Der Prozess ist immer noch anhängig.“
„Kein Vergeben, kein Vergessen“
Im Anschluss verlas Hepgül Bozoğlu eine Erklärung im Namen der Samstagsmütter und wies darauf hin, dass der juristische Kampf oft an der Verjährung scheitert. Die Verfahren werden in die Länge gezogen, bis die letzte Frist abgelaufen ist. „Im internationalen Recht verjähren Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht. Öffentlich Beschäftigte, die zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit anstacheln, sich daran beteiligen oder sie tolerieren, können einer Verurteilung nicht durch Verjährung entgehen“, erklärte Bozoğlu: „Seit einem Vierteljahrhundert schreien wir mit unserem Kampf, der von Generation zu Generation weitergegeben wird: Wir vergessen nicht, wir vergeben nicht, wir geben nicht auf.“