Samstagsmütter erinnern an „Verschwundene” aus Amed

Die Istanbuler Samstagsmütter haben bei ihrer heutigen Kundgebung nach dem Verbleib von Mehmet Şirin Bayram und Ramazan Tekin gefragt. Beide Männer wurden 1996 in Amed festgenommen und sind seitdem „verschwunden”.

In Istanbul hat heute zum 762. Mal die Kundgebung der Samstagsmütter stattgefunden. Seit über 24 Jahren kämpft die Initiative gegen das „Verschwindenlassen“ nach der Festnahme und fordert die Verurteilung der Täter. Ihren angestammten Kundgebungsort, den Galatasaray-Platz in der Fußgängerzone nahe dem zentralen Taksim-Platz, durften die Samstagsmütter wieder nicht betreten. Stattdessen fand die Mahnwache unter Polizeiblockade vor dem Menschenrechtsverein IHD statt. Unterstützt wurden die Frauen wie jede Woche von zahlreichen Politiker*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, darunter auch die HDP-Vorsitzende Pervin Buldan und ihre Fraktionskolleg*innen Hüda Kaya und Garo Paylan.

Das Thema der heutigen Kundgebung war das Schicksal von Mehmet Şirin Bayram und Ramazan Tekin. Die beiden Kurden wurden vor 23 Jahren in Temiran (Demirli), einem Dorf im nordkurdischen Landkreis Pasûr (Kulp, Provinz Amed/Diyarbakir) festgenommen und sind seitdem „verschwunden”. Eine einleitende Erklärung wurde von Besna Tosun vorgetragen. Ihr Vater Fehmi Tosun gehört ebenfalls zu den „Verschwundenen”: Vor ihren Augen wurde er vor 24 Jahren zusammen mit Hüseyin Aydemir von Polizisten in einen Wagen gezerrt und entführt. Damals war sie zwölf Jahre alt.

Tosun betonte zunächst, dass das Recht auf Leben, ein faires Strafverfahren, das Recht auf Freiheit und Sicherheit das Recht aller sei und das Verschwinden in Haft eine Verletzung dieser Grundrechte darstelle. „Geht es allerdings um die Aufklärung des Verbleibs der ‚Verschwundenen‘, setzen alle staatlichen Institutionen eine Politik der Straflosigkeit um. Wir erinnern daran, dass es der Staat ist, der in erster Linie für die Sicherheit der Gefangenen verantwortlich ist.“ Nach diesen Worten widmete sich Tosun dem Schicksal von Mehmet Şirin Bayram und Ramazan Tekin:

„Die Familie Bayram lebte in einem Weiler in Kulp. Die Bewohner der Region wurden damals unter Druck gesetzt, als paramilitärische Dorfschützer im Dienst des Staates zu stehen. Trotz schwerer Repressionen weigerten sie sich. Daraufhin wurde ihr Dorf 1994 niedergebrannt.

Die Familie Bayram zog nach Diyarbakir. Mustafa Bayram und sein Sohn Mehmet Şirin gingen nach Kocaeli, um auf dem Bau zu arbeiten. Mehmet Şirin war damals 18 Jahre alt und war das erste Mal verliebt. Für seine Verlobung brach er nach Diyarbakir auf. Am 2. November 1996 wollte er in Kulp seinen Onkel zu besuchen. Weil es früh dunkel wurde und in der Gegend Militäroperationen durchgeführt wurden, entschied er sich, die Fahrt am nächsten Morgen fortzusetzen. Die Nacht wollte er bei Ramazan Tekin, einem Verwandten in Demirli verbringen. Kurt nach dem er dessen Haus erreichte, wurde es von Soldaten und Dorfschützern gestürmt. Beide Männer wurden festgenommen und auf die Wache der Militärpolizei im Zentrum der Kreisstadt verschleppt. Auch wenn die Familie der beiden in Erfahrung bringen konnte, dass Mehmet Şirin Bayram und Ramazan Tekin fünf Tage lang von der Gendarmerie festgehalten wurden, behauptete diese, beide Männer weder festgenommen zu haben, noch im Besitz von Informationen über ihren Verbleib zu sein.”

Die Familien von Mehmet Şirin Bayram und Ramazan Tekin leiden seit 23 Jahren unter dem Schmerz, nichts über den Verbleib ihrer Angehörigen zu wissen, erklärte Tosun weiter. „Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird Mehmet Şirin gesucht - von seiner Mutter, seinen Vater und seinen Geschwistern. Seine Verlobte wartet noch immer auf eine Nachricht von ihm – ob tot oder lebendig.“