Zum 773. Mal ist die Initiative der Samstagsmütter in Istanbul auf die Straße gegangen, um gegen die staatliche Praxis zu demonstrieren, Menschen in Gewahrsam zu ermorden und die Leichen verschwinden zu lassen. Erneut wurde die Kundgebung auf dem angestammten Galatasaray-Platz im Stadtzentrum verboten. Die Samstagsmütter kamen stattdessen vor der Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD zusammen. Unterstützt wurde die Kundgebung, die im Polizeikessel stattfand, von den Parlamentsabgeordneten Oya Ersoy (HDP), Musa Piroğlu (HDP) und Sezgin Tanrikulu (CHP) sowie zahlreichen Vertreter*innen der Zivilgesellschaft.
Das Thema der heutigen Mahnwache war die Ermordung von Abdullah Canan. Am 17. Januar 1996 verließ der kurdische Geschäftsmann sein Haus in Gever (Yüksekova), um in die Provinzhauptstadt Colemêrg (Hakkari) zu fahren. Auf dem Verkehrsweg Richtung Wan (Van) wurde sein Fahrzeug von Soldaten der türkischen Armee angehalten. Die Militärs zerrten den damals 43-Jährigen aus seinem PKW und brachten ihn zur Kommandantur der Gebirgsjägerbrigaden. Vier Tage später, es war der 21. Januar 1996, wurde die mit Folterspuren übersäte Leiche von Abdullah Canan in einem Kanal in der Nähe des Dorfes Altinbacak aufgefunden. Der Körper des Mannes wies sieben Einschusslöcher auf, alle Kugeln waren aus dem Nahabstand abgefeuert worden. Seine Hände und Füße waren mit Klebeband gefesselt, der Mund zugeklebt.
Wenige Tage vor seiner Entführung legte Abdullah Canan bei der Staatsanwaltschaft in Gever eine Beschwerde gegen den Stabsoffizier Mehmet Emin Yurdakul ein. Der Bataillonskommandeur der Gebirgsjägerbrigaden war berüchtigt für schwere Menschenrechtsverbrechen an der kurdischen Zivilbevölkerung. Yurdakul beorderte Abdullah Canan sowie zwei weitere Personen in sein Offiziersbüro und forderte sie auf, die Beschwerden gegen ihn zurückzunehmen. Canan lehnte ab und wurde vor den Augen der beiden Zeugen mit dem Tod bedroht.
EGMR verurteilt Türkei
Die Hinterbliebenen strengten zwar nach dem Tod von Abdullah Canan einen Prozess in der Türkei an. Doch trotz Aussagen von ehemaligen Wehrpflichtigen, die vor Gericht glaubwürdig schilderten, dass der Mann von Yurdakul und anderen Militärs gefoltert wurde, sprach die türkische Justiz die Täter frei. Die Familie zog daraufhin vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der die Türkei verurteilte.