Samos: Neues Lager für Schutzsuchende „wie Gefängnis“
Die NGO Ärzte ohne Grenzen kritisiert das neue EU-Lager für Schutzsuchende auf der Ägäisinsel Samos und erklärt, das Lager komme einem Gefängnis gleich.
Die NGO Ärzte ohne Grenzen kritisiert das neue EU-Lager für Schutzsuchende auf der Ägäisinsel Samos und erklärt, das Lager komme einem Gefängnis gleich.
Am 18. September wurde auf der Ägäisinsel Samos ein neuer sogenannter „Hotspot“ für Schutzsuchende errichtet. Die in dem von NATO-Draht und hohen Zäunen abgeriegelten Lager tätige NGO Ärzte ohne Grenzen (MSF) kritisiert das Lager als „gefängnisartig“ und warnt, das Lager treibe die Entmenschlichung von Schutzsuchenden voran.
„Lager wird Entmenschlichung und Ausgrenzung weiter vorantreiben“
Das neue Zentrum befindet sich an einem abgelegenen Ort namens Zervou, und laut MSF bestehe „kein Zweifel daran, dass dieses neue Zentrum die Entmenschlichung und Ausgrenzung von Menschen, die in der Europäischen Union Schutz suchen, nur noch weiter vorantreiben wird", so Ärzte ohne Grenzen in einer Erklärung am Vorabend der Eröffnung.
„Menschen haben Angst vor Verlegung“
Auf Twitter erklärte MSF am Montag angesichts der Verlegungen aus dem „Hotspot“ Vathy: „Unsere Patient:innen berichten, dass sie Angst haben, in die neue gefängnisähnliche Einrichtung verlegt zu werden. Unsere Psycholog:innen sind äußerst besorgt insbesondere in Bezug auf die Menschen, die unter schweren psychischen Problemen leiden.“
„Gefängnisartige Anlage kann nicht als Verbesserung verkauft werden“
In dem Thread heißt es weiter: „Wie oft müssen wir noch sagen, dass dieses neue gefängnisartige Zentrum nicht als Verbesserung verkauft werden kann? Dies ist der beste Beweis für die Gewalt der Migrationspolitik von Griechenland und der EU gegen Menschen, deren einziges Verbrechen darin bestand, auf europäischem Boden Sicherheit zu suchen!“
„Gefängnis für Asylsuchende ist eine Schande“
In dem Lager sollen etwa 500 Menschen untergebracht werden. Patrick Wieland, MSF-Feldkoordinator auf Samos, kommentiert dies mit den Worten: „Es ist schon dreist, dass die EU und Griechenland ein neues Gefängnis für Asylbewerber:innen auf der Insel Samos einweihen, während wir sehen, was in Ländern wie Afghanistan passiert. Vielleicht ist der Stacheldraht in ihrem Zentrum glänzend und neu, aber das kann man nicht als Verbesserung verkaufen. Dies ist ein perfektes Beispiel dafür, wie kriminell die EU-Migrationspolitik ist: Menschen, die vor Gewalt fliehen, werden festgehalten und bestraft, weil sie sich in Sicherheit bringen wollen. Das ist eine Schande.“
„Ich war Flüchtling, jetzt bin ich Gefangener“
Ein 19-jähriger Patient von Ärzte ohne Grenzen aus Mali, der bereits seit zwei Jahren auf Samos festsitzt, musste vor einigen Jahren seine Heimat wegen Folter und Verfolgung verlassen. „Er begann seine Reise nach Europa mit der Hoffnung auf ein besseres Leben und auf Sicherheit“, heißt es in einer Erklärung von Ärzte ohne Grenzen. „Aber jetzt erlebt er extreme Frustration und Zweifel an seiner Existenz. Seine Sorgen wegen den neuen Zentrums haben bereits eine Reihe von psycho-emotionalen Reaktionen hervorgerufen.“ Wenn er gefragt werde, was er sich wünsche, laute seine Antwort: „Meine Freiheit. Bis jetzt war ich ein Flüchtling, jetzt werde ich auch ein Gefangener sein“, so MSF.
„Streng überwachtes Lager ruft Traumata wach“
MSF unterstreicht: „Millionen von Euro wurden für den Bau dieser Einrichtung ausgegeben, die mit militärischen Stacheldrahtzäunen und modernen Überwachungssystemen ausgestattet ist. All dies, um Menschen zu inhaftieren, deren einziges ‚Verbrechen‘ darin besteht, Sicherheit und Stabilität zu suchen. Seit Monaten kommen die Patient:innen unserer Klinik von Ärzte ohne Grenzen (MSF) auf Samos zu ihren Terminen in der Angst, in dem neuen Zentrum eingesperrt zu werden, und fühlen sich völlig verlassen und hilflos. Für diejenigen, die die Folter überlebt haben, bedeutet das neue, streng kontrollierte Zentrum nicht nur den Verlust der Freiheit, sondern auch das Wiedererleben vergangener traumatischer Erfahrungen.
Die Mehrheit unserer psychisch erkrankten Patient:innen auf Samos zeigen Symptome von Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen. Zwischen April und August 2021 hatten schockierende 64% der neuen Patienten, die unsere psychiatrische Klinik erreichten, Selbstmordgedanken, und 14% hatten ein tatsächliches Suizidrisiko.“
„Europa bricht die Schutzsuchenden“
Eva Papaioannou, Psychologin von MSF auf Samos, warnt: „Die Eröffnung des neuen Gefangenenlagers verändert die kollektive Identität der Flüchtlinge, ihr Selbstwertgefühl und ihr Selbstbild. Es wirkt sich direkt auf ihre Würde auf. Europa bricht sie.“
Die Organisation hat die EU und Griechenland aufgefordert, „zunächst für menschenwürdige Alternativen zu den Lagern zu sorgen, den Zugang zu einem fairen und menschenwürdigen Asylverfahren zu ermöglichen und eine angemessene und auf die Bedürfnisse von Menschen, die vor Gewalt, Konflikten und Traumata fliehen, zugeschnittene Gesundheitsversorgung sicherzustellen.“
Clara Anne Bünger: „Neuer orwellscher Prototyp von Lagern“
Die Bundestagskandidatin der Linkspartei und Expertin für das EU-Lagersystem, Clara Anne Bünger, bezeichnet auf Twitter das neue Lager auf Samos als einen „neuen orwellschen Prototyp der Entrechtung“. Sie warnt: „Die Lager bedeuten de facto einen Freiheitsentzug für Geflüchtete. Sie werden abseits der Zivilisation hinter Natodraht eingepfercht.“