Prozess gegen Samstagsmütter: „Absurde Justizfarce“

Drohungen gegen Angeklagte, Ausschluss eines parlamentarischen Prozessbeobachters, abgewiesene Anträge: Auch die zweite Hauptverhandlung im Prozess gegen die Samstagsmütter machte deutlich, wie politisiert und willkürlich die Justiz in der Türkei ist.

Es sei ein „Prozess der Schande“, der in Istanbul gegen Mitglieder und Unterstützende der Initiative der Samstagsmütter geführt wird, sagte der Vorsitzende der Rechtsanwaltskammer Amed (tr. Diyarbakir), Nahit Eren, bei der zweiten Hauptverhandlung gegen die 46 Angeklagten, denen wegen „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“ bis zu drei Jahre Haft drohen. Eine „absurde Farce“, die erneut deutlich mache, wie politisiert und willkürlich die Justiz in der Türkei sei.

Gegenstand der Anklage ist die Mahnwache vom 25. August 2018. An diesem Tag kamen die Samstagsmütter zum 700. Mal vor dem Galatasaray-Gymnasium in Istanbul zusammen, um an ihre verschwundenen Angehörigen zu erinnern und Gerechtigkeit für sie einzufordern. Die Polizei ging mit Tränengas, Gummigeschossen und Wasserwerfern gegen die Demonstrierenden und ihren Unterstützerkreis vor und nahm fast 50 Personen fest. Zuvor war das 700. Sit-in der Initiative vom Innenminister medienwirksam kriminalisiert und diffamiert worden.

„Das Verfahren ist eine massive Verletzung grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien und auch der Menschenrechte. Es muss zwingend eingestellt werden“, erklärte Eren. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft seien haltlos und wären bereits bei der Prozesseröffnung im März entkräftet worden, da es sich um eine friedliche Versammlung handelte. Die Gefahr und Gewalt gingen ausschließlich von den Sicherheitskräften aus, so der Jurist. „Es darf nicht sein, dass Menschen, die auf der Suche nach Gerechtigkeit sind und sich dafür einsetzen, damit die dunkle Phase der 90er Jahre sich nicht wiederholt, auf der Anklagebank sitzen müssen. Auf diese Weise wird die Gesellschaft als Ganzes ihren Glauben an Gerechtigkeit verlieren.“

Rechtsanwalt Nahit Eren gibt nach der Verhandlung eine Presseerklärung ab

Der Prozess wurde von zahlreichen zivilrechtlichen Organisationen beobachtet. Auch die Parlamentsabgeordneten Züleyha Gülüm, Hüda Kaya und Oya Ersoy von der HDP sowie Mahmut Tanal, Ali Şeker und Sezgin Tanrıkulu von der CHP saßen im Saal. Der vorsitzende Richter trat äußert aggressiv auf, wurde Angeklagten gegenüber grob unhöflich, drohte der Verteidigung mit dem Ausschluss von Beteiligten und ignorierte Ablehnungsgesuche. Der CHP-Politiker Mahmut Tanal protestierte lautstark gegen die „einseitige und fehlerhafte” Rechtsanwendung durch den Richter und forderte ihn auf, sich an die Verfassung zu halten. Daraufhin wurde der Prozess unterbrochen. Nach der Pause durfte Tanal nicht wieder zurück in den Saal.

Der Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD, Öztürk Türkdoğan, sagte, dass es noch nicht mal halbwegs nach rechtsstaatlichen Prinzipien zugehen würde. Andernfalls müsste längst ein Freispruch für alle Angeklagten stehen. „Bei den Mahnwachen der Samstagsmütter handelt es sich um die längste Aktion des zivilen Ungehorsams in der Türkei. Ihr angestammter Versammlungsplatz ist mittlerweile zu einer öffentlichen Gedenkstätte geworden. Es ist das natürliche und legitime Recht dieser Mütter, die Aufklärung des Schicksals ihrer verschwundenen Angehörigen und die strafrechtliche Verfolgung der Täter einzufordern“, so Türkdoğan. Die als unbegründet abgelehnten Befangenheitsanträge – es handelt sich um denselben Richter, der auch dem Prozess gegen die Studierenden der Istanbuler Boğaziçi-Universität den Vorsitz hat – will die Verteidigung an eine nächsthöhere Instanz tragen. Der Prozess soll am 24. November fortgesetzt werden.