Makbule Özer soll wieder ins Gefängnis

Makbule Özer muss am Montag wieder ins Gefängnis. Die 81-jährige Kurdin aus Wan wurde von einem türkischen Gericht ohne Beweise wegen „Terrorunterstützung“ verurteilt. Sie ist auf einen Rollstuhl angewiesen und kann sich nicht selbst versorgen.

Makbule Özer soll am Montag ihre Reststrafe in einem türkischen Gefängnis antreten. Die 81-jährige Kurdin aus Wan-Ertemêtan (tr. Van-Edremit) war vergangenes Jahr zusammen mit ihrem Ehemann Hadi Özer wegen „Terrorunterstützung“ verhaftet worden. Das Ehepaar wurde zu über zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Im Fall von Makbule Özer wurde der Strafvollzug aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands für ein Jahr ausgesetzt, sie wurde nach viermonatiger Haft im September 2022 freigelassen.

Jetzt hat das Institut für Gerichtsmedizin (ATK) eine Haftfähigkeitsbescheinigung ausgestellt. In einem Schreiben vom 1. November an das zuständige Gericht in Wan teilt das Institut mit, dass Makbule Özer in einem Rollstuhl zur Begutachtung gebracht wurde und unter Asthma, Atemnot, Bewegungseinschränkungen und verringerter Sehfähigkeit leidet. Dennoch befürwortet das ATK ihre Inhaftierung in einer Strafanstalt vom „Typ R“. Die Abkürzung steht für „Rehabilitation“. Nach drei Monaten soll eine erneute Überprüfung ihres Gesundheitszustands erfolgen.


Gegenüber ANF erklärte Makbule Özer, dass sie während ihrer Haft im vergangenen Jahr ständig krank war und immer wieder ins Krankenhaus gebracht werden musste: „Ich kann nicht mehr laufen, aber ich werde wieder ins Gefängnis gebracht. Ich kann meine Hände und Füße nicht benutzen und habe viele Krankheiten. Weil ich so schwer Luft bekomme, werde ich manchmal an ein Sauerstoffgerät angeschlossen. Als ich im Gefängnis war, haben sich die anderen Frauen um mich gekümmert. Ohne diese Freundinnen hätte ich dort gar nicht überleben können.“

Für Kurd:innen gebe es in der Türkei keine Gerechtigkeit, sagte Makbule Özer weiter: „Wir Kurden werden unterdrückt. Im Krankenhaus habe ich Menschen gesehen, denen es noch viel schlechter ging als mir. Sie wurden auf einer Bahre zurück ins Gefängnis gebracht. Es sind so viele kranke und alte Menschen im Gefängnis. Sie müssen alle freigelassen werden. Unschuldige Menschen werden verhaftet und bekommen viele Jahre Strafe. Diebe und Mörder werden aus dem Gefängnis geholt, aber wir Kurden werden bestraft. Für uns gibt es keine Gerechtigkeit. Ich denke auch nicht nur an mich, im Gefängnis werde ich wieder eine Last für die Freundinnen sein. Sie haben alles für mich getan. Wenn ich nächste Woche wieder ins Gefängnis muss, werde ich vielleicht nicht wieder lebend herauskommen.“

Hintergrund: Warum wurden Makbule und Hadi Özer verhaftet?

23. Juli 2018: Im Kreis Ertemêtan (tr. Edremit) stürmen Antiterroreinheiten der türkischen Polizei das Haus von Makbule und Hadi Özer. Siebzehn Personen halten sich zu dem Zeitpunkt dort auf, darunter vier Minderjährige. Das ältere Ehepaar sowie drei Familienmitglieder und eine Bekannte werden rund drei Stunden von den Beamten terrorisiert, beleidigt, geschlagen und bedroht. Anschließend werden sie festgenommen und zwei Tage lang in Polizeihaft verhört. Am 26. Juli findet die Überstellung an die zuständige Staatsanwaltschaft statt. Şükran Yıldız, die am Tag der Razzia zu Besuch bei den Özers war, wird wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft verhaftet. Makbule, Hadi, Medeni, Übeydullah und Emrullah Özer werden freigelassen.

Hintergrund der Razzia war ein Vorfall, der sich eine gute Woche zuvor im 45 Kilometer nordöstlich liegenden Stadtbezirk Rêya Armûşê (Ipekyolu) zugetragen hat. In der Nacht auf den 15. Juli 2018 führten paramilitärische Spezialeinheiten der türkischen Polizei eine Operation in einem Haus in der Yalım-Erez-Straße durch. Dort hatten sich zwei YPS-Mitglieder (Zivile Verteidigungseinheiten) verbarrikadiert. Erst später wurde bekannt, dass es sich um Metin Ünalmış (Numan Serhat) und Bilal Şimşek (Serhıldan Ararat) handelte. Beide Kämpfer lieferten sich zunächst ein Gefecht mit den Operationseinheiten. Die YPS nannten zwei Tote und sechs Verletzte bei der Polizei, der türkische Gouverneur sprach lediglich von drei verwundeten Beamten. Tot seien nur die beiden Personen, „die eine illegale Aktion vorbereitet“ hätten.

Anwohnende erklärten damals zu den Geschehnissen: „Um etwa 0.00 Uhr wurde das Viertel mit Dutzenden von Fahrzeugen abgesperrt. Gegen 0.20 Uhr waren zuerst zwei Schüsse zu hören. Dann war es eine Stunde still. Darauf folgten Schüsse und zwei Explosionen. Danach rissen die Schüsse bis 5.00 Uhr morgens nicht ab. Gegen 6.00 Uhr zog die Polizei mit ihren Panzern aus dem Viertel ab.“ Menschenrechtsorganisationen hatten die Vermutung geäußert, dass Metin Ünalmış und Bilal Şimşek möglicherweise Opfer von extralegalen Hinrichtungen geworden sind, als ihre Munition ausging.

Noch in derselben Nacht war es zu mehreren Festnahmen gekommen. Damals traf es die Familie Şahin, die ganz in der Nähe des Tatortes wohnte. Mit Panzern wälzten Beamte den Gartenzaun ihres Hauses nieder und misshandelten die Familie – auch zwei 16-Jährige. Auf dem Polizeirevier wurde die Tortur fortgesetzt. Nur vier Tage später wurden sechs Familienmitglieder in Untersuchungshaft genommen. Auch hier lautete der Vorwurf auf PKK-Unterstützung, konkret ging es um die YPS-Kämpfer, denen geholfen worden sein soll. Hinzu kamen Beschuldigungen wie „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ und „Beamtenbeleidigung“. Die Folter setzte sich im Gefängnis fort, neben Schlägen und Tritten wurden die Betroffenen entwürdigenden Nacktdurchsuchungen unterzogen. Erst Ende 2019 konnten alle verhafteten Personen aus der Familie Şahin das Gefängnis verlassen. Die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen 66 beteiligte „Folterer“ bei der türkischen Polizei wurde mit dem Veto des Provinzgouverneurs unterbunden.