„Ich will Öcalan treffen“-Kampagne in Planung

Die seit 2023 betriebene Kampagne „Freiheit für Öcalan – Eine politische Lösung der kurdischen Frage“ hat wichtige Resultate erzielt. Sprecher:innen der Kampagne haben nun eine neue Phase unter dem Titel „Ich will Öcalan treffen“ bekannt gegeben.

Öcalan kann Brücken bauen

In den vergangenen Monaten gab es einseitig viel Bewegung für eine politische Lösung der kurdischen Frage: Abdullah Öcalan veröffentlichte am 27. Februar seinen „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“, woraufhin die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vom 5. bis 7. Mai ihren 12. Kongress abhielt. Die Diskussionen, die im Oktober 2024 begannen, zeigten andererseits den Stillstand, der durch den sicherheitspolitischen Ansatz des türkischen Staates bei der politischen Lösung der kurdischen Frage entstanden ist.

Insbesondere die Kampagne „Freiheit für Öcalan – Eine politische Lösung der kurdischen Frage“, die am 10. Oktober 2023 startete, führte zu einer breiten Welle von Aktionen der Kurd:innen und ihrer Verbündeten. Die in diesem Rahmen organisierten Demonstrationen und Veranstaltungen sowie die ausweglose Lage des türkischen Staates im Krieg und die sich verändernde regionale Dynamik haben den Staat erneut dazu veranlasst, sich an Öcalan zu wenden.

Es muss jedoch klar festgehalten werden: Alle bisherigen Gespräche haben weder zu einer Verbesserung der Bedingungen für Öcalan auf der Insel Imrali geführt noch wurde seine physische Freiheit gewährleistet. Die Sprecher:innen der Kampagne „Freiheit für Öcalan – Eine politische Lösung der kurdischen Frage“, Hatip Dicle, Zübeyde Zümrüt und Sinan Önal, beantworteten im Gespräch mit ANF Fragen zu den aktuellen Entwicklungen und Plänen.

Der türkische Staat muss politische und rechtliche Maßnahmen ergreifen

Die Gewährleistung der physischen Freiheit von Abdullah Öcalan, seiner Gesundheit sowie Sicherheit seien von äußerster Wichtigkeit, betont Sinan Önal eingangs. Öcalan müsse die Möglichkeit bekommen, sich an einer legalen und demokratischen Politik zu beteiligen, denn er spiele eine entscheidende Rolle bei der Erreichung eines dauerhaften Friedens.

Önal hob Öcalans Identität als Verhandlungsführer sowie seine Fähigkeit hervor, in den aktuellen politischen Debatten Brücken zwischen den Völkern zu bauen, und sagte: „Nach dieser historischen Erklärung muss der türkische Staat politische und rechtliche Schritte unternehmen, um eine Grundlage für Verhandlungen zu schaffen und Rechtsreformen durchzuführen, die die Rechte des kurdischen Volkes anerkennen. Der Erfolg dieses Prozesses steht in direktem Zusammenhang mit gleichen Bürgerrechten, die durch eine demokratische Verfassung garantiert werden.“

Die PKK muss von den Terroristenlisten gestrichen werden

Mit Verweis auf die Notwendigkeit, die PKK von den sogenannten Terrorlisten zu streichen, machte Sinan Önal klar, dass auch internationale Mächte eine Rolle dabei spielen könnten, den Prozess voranzutreiben. Die Listung entspräche nicht mehr der Realität und behindere die Friedensbemühungen, so Önal.

„Die kurdische Bewegung wird auch in dieser neuen Phase demokratische Politik, Diplomatie und gesellschaftliche Solidarität in den Vordergrund stellen. Es ist mehr als nur symbolische Unterstützung nötig. Die Umsetzung konkreter politischer und rechtlicher Maßnahmen wird die Glaubwürdigkeit des Prozesses stärken“, zeigt sich Önal überzeugt.

Auf die Türkei muss diplomatischer Druck ausgeübt werden

Sinan Önal fuhr fort: „Die Staaten in Europa müssen Druck auf die Türkei ausüben, die legitimen Forderungen des kurdischen Volkes anerkennen und eine Lösung außerhalb des militaristischen Rahmens rechtlich unterstützen. Dies ist eine historische Chance, den jahrzehntelangen Konflikt zu beenden und eine neue Phase einzuleiten, die auf Dialog, Gerechtigkeit und Demokratie beruht.

Für das kurdische Volk sollte dieser Prozess als ein Frühling der Freiheit und für die Türkei als ein Frühling der Demokratie angesehen werden. Der Ruf nach Frieden, der aus dem Herzen des Nahen Ostens kommt, wird nicht nur für die Türkei, sondern auch für den Frieden und die Stabilität in der Region entscheidend sein.“

Wir befinden uns in der dritten Phase der globalen Kampagne

Zübeyde Zümrüt erklärte, dass der Aufruf von Herrn Öcalan vom 27. Februar die dritte Phase der globalen Kampagne eingeläutet habe und fügte hinzu: „Dieser Aufruf ist nicht nur eine Erklärung, sondern stellt auch einen Fahrplan und eine politische Vision für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage dar.“

Sie unterstrich, dass Öcalan trotz 26 Jahren schwerer Isolation eine kraftvolle Botschaft für Freiheit und Frieden verkündet hat. Zümrüt wies darauf hin, dass dieser Aufruf nicht nur von der kurdischen Bevölkerung, sondern auch von der türkischen Gesellschaft und den Ländern der Region mit großer Begeisterung aufgenommen wurde, was vor allem zu Newroz 2025 eindrücklich sichtbar wurde: „Die Forderungen der Massen auf der Straße haben gezeigt, wie weit verbreitet der Glaube an den Frieden geworden ist.“

Wir werden unsere Bemühungen intensivieren und fortsetzen

Die Kampagnen-Sprecherin ging auch auf die Diskussionen über das „Recht auf Hoffnung“ ein und erklärte: „Rechtsexpert:innen lenken in diesem Rahmen die Aufmerksamkeit auf das Recht auf Hoffnung. Im September letzten Jahres hat der Europarat zur absoluten Bedingung gemacht, dass die Türkei bis September 2025 eine Reform in Bezug auf die schwere lebenslange Freiheitsstrafe durchführen muss. Deshalb muss dieser Schritt jetzt erfolgen.

Unsere Kampagne zielt auch auf die Freilassung aller politischen Gefangenen ab. Wir werden unsere Bemühungen in dieser Hinsicht verstärken.“ Sie fügte hinzu, dass die Kampagne, die sowohl innerhalb der Türkei als auch international durchgeführt wird, den Grundstein für einen neuen demokratischen Prozess legt.

Die europäische Politik konzentriert sich zunehmend auf die kurdische Frage

Während der kommenden 86. Sitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, die für Ende Juni angesetzt ist, werden laut Hatip Dicle Anstrengungen unternommen werden, um die Türkei zur Umsetzung der Verordnung über das „Recht auf Hoffnung“ zu drängen.

Dicle sagte: „Die europäischen Institutionen müssen jetzt konkrete Schritte unternehmen und sicherstellen, dass die Türkei ihren Verpflichtungen nachkommt.“ Er wies auch darauf hin, dass der Türkei-Bericht des Europäischen Parlaments, der letzte Woche angenommen wurde, Lob für Öcalans Aufruf enthält und fügte hinzu: „Dies zeigt, dass sich das Verständnis für die kurdische Frage in der europäischen Politik vertieft und die Erwartung einer Lösung institutionalisiert wird.“

„Ich will Öcalan treffen“-Kampagne

In Bezug auf den nach wie vor unveröffentlicheten Bericht des Komitees zur Verhütung von Folter (CPT) über seinen Besuch auf Imrali vor zweieinhalb Jahren übte Hatip Dicle deutliche Kritik: „Die Tatsache, dass das CPT vor kurzem erneut die Türkei besuchte, aber nicht nach Imrali ging, ist ein ernsthafter Grund zur Sorge. Diese Fragen werden von einschlägigen Rechtsexpert:innen und Menschenrechtsorganisationen auf der Tagesordnung gehalten. Institutionen, die ihrer rechtlichen und moralischen Verantwortung nicht nachkommen, untergraben das Vertrauen der Öffentlichkeit.“

Dicle kündigte außerdem an, dass eine neue weltweite Briefkampagne unter dem Slogan „Ich will Öcalan treffen“ gestartet werden soll. Die Kampagne soll demnach das Gewissen der internationalen Öffentlichkeit repräsentieren, die für Frieden und Freiheit eintrete.

Es gibt einen starken Willen zum Frieden

Ein starker Wille zum Frieden sei laut Dicle in allen Teilen der türkischen Gesellschaft vorhanden. Insbesondere die öffentliche Reaktion nach dem Tod von Sırrı Süreyya Önder spiegele diesen Friedenswillen wider. Dicle betonte in diesem Zusammenhang, wie wichtig es sei, dass alle gesellschaftlichen und politischen Akteur:innen diesen Willen unterstützten.

„Frieden hat klare Bedingungen“, stellte er fest und berief sich auf Verhandlungen auf der Grundlage von Gleichberechtigung sowie einen Prozess, der die Zivilgesellschaft und politische Vertretungen einbezieht. Er bezeichnete die gegenwärtigen Debatten als Chance und fuhr fort: „Es ist wichtig, Schritte zu unternehmen, um die Freiheit von Abdullah Öcalan zu gewährleisten und einen Prozess der demokratischen Transformation einzuleiten.

Obwohl Herr Öcalan seit 26 Jahren unter härtesten Bedingungen inhaftiert ist, ist er in seinem Engagement für den Frieden nie ins Wanken geraten. Seine Freilassung wäre die wichtigste Garantie für diesen Prozess. Dieser Schritt würde die Tür zu einer gemeinsamen Vision der Zukunft öffnen, nicht nur für die Kurd:innen, sondern für alle Völker der Türkei.“

Unser Kampf wird mit Entschlossenheit weitergehen

Dicle schloss mit folgenden Worten: „Nelson Mandelas Friedensverhandlungen mit der Regierung De Klerk in Südafrika sind das beste und inspirierendste Beispiel. Mit Mandelas Freilassung bewegte sich das Land in Richtung Demokratisierung, und die schwarze Bevölkerung erhielt das Recht auf Selbstbestimmung. In ähnlicher Weise können sich in der Türkei Frieden und Demokratie gemeinsam weiterentwickeln. Auch dies muss ein kollektiver Prozess sein, der auf einem gesellschaftlichen Konsens beruht.

Alle Komponenten unserer Kampagne werden weiterhin Schritte unternehmen, die die Türkei ermutigen und die Agenda des Friedens lebendig halten. Wir werden entschlossen weiter für einen neuen Gesellschaftsvertrag kämpfen, in dem jede:r Verantwortung übernimmt und eine Stimme hat.“

Titelfoto © Presseservice Feykom | Elefterya Wien