Die Istanbuler Initiative der Samstagsmütter hat zum 875. Mal gegen das „Verschwindenlassen“ in staatlichem Gewahrsam protestiert und eine Bestrafung der Täter gefordert. Die jeden Samstag stattfindende Mahnwache wurde auch diese Woche erneut im Online-Format durchgeführt.
Ikbal Eren Yarici wies als Mitglied der mit Festnahmen befassten Kommission des Menschenrechtsvereins IHD darauf hin, dass ein weiteres Jahr voller Repression und Rechtsverletzungen vergangen ist: „Wir beginnen das neue Jahr in einem schwer repressiven Klima, in der verfassungsrechtliche Freiheiten und der Rechtsstaat ausgesetzt sind. Mit dem Präsidialsystem ist ein Regime der Rechtlosigkeit eingeführt worden. Dieses Regime verweigert demokratischen Standards und Freiheiten einschließlich des Rechts auf Unversehrtheit des Lebens die Anerkennung. Gerechtigkeit und Frieden sind in weite Ferne gerückt worden. Der Schlüssel gegen dieses Regime, mit dem das Schweigen vergrößert wurde, liegt in unseren Stimmen.“
Ikbal Eren Yarici vom Menschenrechtsverein IHD in Istanbul
Yarici erklärte, dass alle ihre Stimmen erheben müssen, damit die Türkei zu einem Rechtsstaat wird: „Unsere Forderungen gelten einer Türkei, in der die Willkür der Regierung unterbunden wird, der Staat sich zum Rechtssystem bekennt, die Justiz unabhängig arbeitet und rechtliche Regelungen für alle gelten.“
Die Gesellschaft habe das Recht zu wissen, wer die Täter der stattfindenden Massaker seien. Solange Gerechtigkeit und Freiheit nicht durchgesetzt werde, mache auch ein Regierungswechsel keinen Sinn, so die Menschenrechtlerin: „Jede ungesühnte Straftat fördert den Kreislauf der Gewalt. Damit wird ein gesellschaftliches und politisches Klima geschaffen, in dem sich Gewalttaten wiederholen. Straflosigkeit betrifft nicht nur die Vergangenheit, sondern gleichzeitig auch unsere Zukunft. Wir werden weiter dafür sorgen, dass die Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerät und das gesellschaftliche Gedächtnis hinsichtlich dieser systematischen Politik lebendig bleibt. Wer die Wahrheit vergisst, findet sich damit ab. Erinnern bedeutet Widerspruch, vergessen bedeutet Verleugnung. Wir wünschen uns, dass der erste Tag im neuen Jahr der Beginn einer Zeit sein möge, in der alle mit ihren Rechten frei leben können.“
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