Wir haben mit Emma Sinclair-Webb, der Türkei-Direktorin von Human Rights Watch, über die Isolation des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan in türkischer Haft und die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei gesprochen.
„Die Gesetze werden als Mittel der Repression benutzt“
Für Emma Sinclair-Webb steht es außer Frage, dass in der Türkei schwere Menschenrechtsverletzungen stattfinden: „Früher gab es vor allem Menschenrechtsverletzungen gegen kurdische und linke Kreise, aber heute finden wir sie in allen Bereichen, ob rechts, links, konservativ, kurdisch oder türkisch.“ Sie kritisiert, dass die Antiterrorgesetzgebung als Mittel der politischen Repression eingesetzt wird: „Alle oppositionellen Stimmen werden verurteilt. Oppositionelle Zusammenschlüsse aus allen Bereichen werden verboten.“
Menschenrechte in der Krise
Die Menschenrechtsexpertin mit Schwerpunkt Türkei berichtet, dass fast zwanzig Prozent der Gefangenen in der Türkei aufgrund von Terroranschuldigungen inhaftiert sind: „Diese Situation spricht für sich. Wir wissen, dass nach dem Putsch zwischen zwei- und dreitausend Soldaten inhaftiert wurden, die übrigen wurden nicht wegen des Putsches verurteilt, sondern wegen Mitgliedschaft. Die Mehrheit von ihnen wurde willkürlich verurteilt und inhaftiert. Bei vielen von ihnen findet sich in den Akten keine terroristische Betätigung, aber sie werden trotzdem nach der Antiterrorgesetzgebung verurteilt oder inhaftiert. Die aktuelle Situation kann nur als eine Krise der Menschenrechtsverletzungen bezeichnet werden.“
„Es wird so getan, als wäre alles normal“
Auf die Frage nach ihrer Meinung zur Isolation Abdullah Öcalans sagt Emma Sinclair-Webb: „Als Human Rights Watch sind wir gegen jede Art von Isolation. Der Begriff der Isolation in den Gesetzen der Türkei und insbesondere im Strafvollzugsgesetz ist oft kritisiert worden. Besonders das Antifolterkomitee des Europarats (CPT) hat die Türkei hinsichtlich Isolationshaft viele Male kritisiert. Bis vor ein paar Jahren wurde viel über die Anwendung der Isolation in der Türkei diskutiert. Die Türkei wurde für die Missachtung sozialer Rechte von Gefangenen, einschließlich der von Öcalan, kritisiert oder es wurde zumindest über das Thema gesprochen. In der aktuellen Phase erscheint es so, als ob wir alles vergessen hätten. Über diese Themen wird nicht gesprochen, es wird so getan, als wäre alles normal.“
„Die Isolationshaft ist inakzeptabel“
Sinclair beschreibt die Isolationshaft als ein großes Problem in den Gefängnissen der Türkei: „Die Isolation betrifft nun nicht mehr alleine Öcalan, sie stellt auch für viele andere Gefangene ein großes Problem dar. Das CPT schweigt zwar dazu, aber es hat in dieser Hinsicht klare Standards. Es ist inakzeptabel, dass seit zwei Jahren niemand mehr zu Öcalan gelassen wird.“
Europa weiß von der Lage in der Türkei
Europa wisse genau, was in der Türkei vorgehe, aber die Türkei-Politik laufe vor allem über das Migrationsthema, so Emma Sinclair-Webb: „Aus diesem Grund bleiben viele Menschenrechtsverletzungen in der Türkei im Dunkeln.“
„Was in Cizre geschehen ist, darf nicht vergessen werden“
Zu den Massakern in Cizîr (Cizre) vor drei Jahren sagt die Menschenrechtsexpertin: „Zu dieser Zeit wurde in Europa wegen des Syrienkriegs nicht darüber gesprochen, was in der Türkei geschah. Wir haben damals als Menschenrechtsorganisationen Berichte zu den Geschehnissen geschrieben und die Ereignisse dokumentiert. Mit dem darauffolgenden Putsch war plötzlich alles unterbrochen. Ereignisse wie in Cizîr wurden gedeckelt. Was dort geschehen ist, ist aber sehr wichtig und darf nicht vergessen werden. Die UN haben zu dem Thema später einen Bericht veröffentlicht, aber der Putsch verhinderte eine Auseinandersetzung mit dem Thema. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung war nicht gut.“
„Die Türkei betrachtet viele Dinge als Terror-Angelegenheit“
„Die Türkei betrachtet viele Dinge als Terror-Angelegenheit“, erklärt Sinclair-Webb weiter: „Es heißt, das Kriegsrecht sei für bestimmte Regionen nicht gültig. Die Türkei versucht so, einer Diskussion über Kriegsverbrechen auszuweichen. In der Türkei wird über diese Themen nicht viel gesprochen. Aber wie sehr die Regierung auch vom Antiterrorkampf spricht, hat es für uns schon ausgereicht, die Geschehnisse in Hinblick auf die Menschenrechte zu betrachten. Es war wichtig, auf die zivilen Toten und die Angriffe auf Gebiete, in denen keine Kämpfe stattgefunden haben, hinzuweisen. All das ist von den Menschenrechtsinstitutionen dokumentiert worden.“