„Ein Angriff auf ideelle Werte“

Der Umgang mit Toten ist auch in der Türkei gesetzlich festgeschrieben. Dass die Leichen von Guerillakämpfern per Post zugestellt werden, bezeichnet die Menschenrechtlerin Gülseren Yoleri als einen Angriff auf ideelle Werte, der eine Botschaft enthält.

Die sterblichen Überreste des 2018 in Dersim gefallenen Guerillakämpfers Mahsum Aslan sind seiner Familie per Post zugesandt worden. Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas in der Türkei passiert. Auch die Leiche des 2017 ebenfalls in Dersim ums Leben gekommenen HPG-Kämpfers Agit Ipek wurde seiner Mutter als Postpaket zugestellt.

Die Istanbuler IHD-Vorsitzende Gülseren Yoleri sieht in diesem Vorgehen einen Angriff, mit dem eine Botschaft vermittelt werden soll. Wie die Menschenrechtlerin gegenüber ANF erklärt, ist der Umgang mit menschlichen Leichen gesetzlich festgelegt: „Unter normalen Umständen ist im Gesetz festgeschrieben, was mit einer Leiche getan werden muss. Im Gesetz finden sich alle Einzelheiten, wie Tote bestattet werden müssen. Auch in religiöser Hinsicht ist das eindeutig. Diese Bestimmungen gelten für alle Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von der betreffenden Person oder ihrer Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe. Alles andere ist eine klare Rechtsverletzung.“

Gülseren Yoleri sagt, dass mit diesem Vorgehen der gesellschaftliche Frieden angegriffen und der sich verschärfende Hassdiskurs genährt wird: „Es geht dabei nicht nur um die verstorbene Person, sondern eben auch um das, was der Familie damit angetan wird. Es handelt sich um einen Angriff auf das Recht auf Trauer der Hinterbliebenen und auf ideelle Werte. Wenn wir uns ansehen, wer der verstorbene Mensch war, wird deutlich, dass das Vorgehen eine Botschaft nicht nur an die Familie, sondern an eine gesellschaftliche Gruppe beinhaltet. In dieser Hinsicht ist der Vorgang höchst gefährlich. Eine solche Abwertung heizt die ohnehin von Hassverbrechen erfüllte Atmosphäre weiter auf.“

Die Vorsitzende der Istanbuler Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD erklärt dazu weiter: „Dass der diskriminierende Diskurs in diesem Land Aufwind erfährt, steht in direktem Zusammenhang mit dem, was die Regierung will. Wir sehen an vielen Punkten, dass es sich um eine bewusste Entscheidung handelt. Deshalb müssen wir die Regierungspolitik hinterfragen, denn so etwas entwickelt sich nicht von allein. Die Gesellschaft agiert normalerweise mit Blick nach oben. Der zunehmende Autoritarismus schafft eine Distanz zu Menschenrechten und Demokratie. Das Vorgehen gegen die Toten und die Angriffe auf die ideellen Werte der Angehörigen müssen ganzheitlich betrachtet werden. Die Aggression nimmt zu, weil dem Chaos der Vorzug vor Frieden und Ruhe gegeben wird. Dabei darf nicht vergessen werden, dass chaotische Zustände die Macht der Regierenden sicherstellt.“