Auf der Insel Imrali befindet sich der Vordenker der kurdischen Freiheitsbewegung, Abdullah Öcalan, weiterhin in Isolationshaft. In Gefängnissen an verschiedenen Orten der Türkei treten die politischen Gefangenen in den 168. Tag ihres für jeweils für fünf Tage geführten Hungerstreiks für eine Ende der Isolation und für Besuchsmöglichkeiten für Öcalans Anwält:innen und Familienangehörige.
Die Juristin Cemile Turhallı hat sich gegenüber ANF über die jahrelange Isolation, deren Unvereinbarkeit mit türkischem und internationalem Recht sowie über den Hungerstreik geäußert:
„Für verurteilte Gefangene gelten zwar mehr Beschränkungen als bei Untersuchungshäftlingen, aber auch für sie schreibt die Vollzugsgesetzgebung eine tägliche Besuchsmöglichkeit für den Rechtsbeistand und eine wöchentliche Besuchsmöglichkeit für Angehörige vor. Angesichts dessen, dass das Verfassungsgericht eine Verletzung der Rechte von Herrn Öcalan festgestellt hat, sehen wir uns einer Praxis des türkischen Staates gegenüber, die nicht nur seiner Verfassung, seinen weiteren Gesetzen sowie den internationalen Verträgen, die er unterschrieben hat, widerspricht, sondern auch seinem eigenen Verfassungsgericht, welches einer Verfassungsbeschwerde in diesem Fall stattgegeben hat.“
„Die behördliche Praxis steht im Widerspruch zu den Antidiskriminierungsgesetzen“
Bezüglich der Absegnung der Isolation durch das Justizministerium sagt Turhallı:
„Wir sehen hier, wie eine staatliche Behörde Entscheidungen trifft und Standpunkte einnimmt, die den eigenen Gesetzen und Gerichtsurteilen zuwiderlaufen. Die behördliche Praxis steht zudem im Widerspruch zu den Antidiskriminierungsgesetzen. Tatsächlich sollten die Gesetze für alle gleich sein. Jedes Gesetz, das nicht für alle gleich angewendet wird, bedeutet eine Diskriminierung. Wir beobachten seitens der momentanen Regierung eine Annäherung an die kurdische Frage, die sich nicht wesentlich von der in den vergangenen 100 Jahren angewendeten Politik unterscheidet.
Wir sehen auch, dass Abdullah Öcalan sich beständig für eine Lösung dieser Frage nicht mit militärischen Mitteln, sondern durch Frieden und eine Einigung aller Parteien einsetzt. Während der als ‚Friedensprozess‘ bekannt gewordenen Periode des Aufatmens wurden seine Lösungsvorschläge auch von der Regierung aufgegriffen und zur Sprache gebracht. Das hat gewisse Kreise, die Krieg und Kampf bevorzugen, nervös gemacht. Wir können jetzt sehen, dass das Grundproblem ist, dass die Regierung heute in einer Allianz mit diesen Kreisen agiert.“
„Die Türkei kommt ihren Verpflichtungen als Mitglied des Europarates nicht nach“
Laut Turhallı wird nicht nur das türkische Recht durch die Isolation verletzt. Auch internationalem Recht und Verpflichtungen aus internationalen Verträgen wird nicht Folge geleistet:
„Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) ist eine 1987 gegründete außergerichtliche Instanz. Seine Entscheidungen sind als Empfehlung anzusehen. Das Komitee kann sich entsprechend seiner zugrundeliegenden Konvention im Rahmen von Besuchen seiner Mitgliedstaaten zur Untersuchung von Misshandlung auch mit Personen treffen, deren Freiheit aufgrund staatlicher Maßnahmen eingeschränkt wurde.
Nach jedem Besuch erstellt das Komitee einen Bericht aus seinen Erkenntnissen und Vorschlägen, der unter Voraussetzung der Zustimmung des jeweiligen Mitgliedslandes veröffentlicht wird. Die Türkei hat als Mitglied des Europarates eigentlich die publizierten Entscheidungen für sich als verbindlich anerkannt. Auch hier sehen wir, dass die Türkei den Verpflichtungen in Bezug auf die Grundrechte, die ihr als Mitglied des Europarates zukommen, nicht erfüllt.
„Würde die Türkei ihre eigenen Gesetze umsetzen, hätten diese Rechtsbrüche ein Ende“
Das Verbot von Folter und Misshandlung ist das einzige Menschenrecht, das seit mehreren Jahrhunderten keinerlei Einschränkung zulässt. Jegliche Verwaltungsakte oder Urteile, die einen Eingriff in diese Gruppe von Rechten darstellen, sind nicht zu akzeptieren.
Das Komitee fordert in seinem Bericht ein Ende dieser Praxis und mehr rechtliche Sicherheit dagegen. Dabei ist wichtig zu wissen, dass das CPT Erkenntnisse und Vorschläge anstatt von Entscheidungen publiziert. Deshalb gibt es auch keine internationalen Sanktionen gegen Staaten, die diese Vorschläge nicht umgesetzt und die Rechtsverletzungen fortgesetzt haben. Würde die Türkei aber ihre eigenen Gesetze und ihre Rechtsprechung gleichberechtigt umsetzen, hätten diese Rechtsbrüche ohnehin schon ein Ende gefunden.
„Isolation stellt einen Bruch des Verbots der Folter dar“
Isolation ist im allgemeinen als Misshandlung anzusehen und stellt deshalb einen Bruch des Folterverbots dar. Wenn einem Gefangenen im Rahmen der Isolation Treffen mit seinem Rechtsbeistand und mit engen Kontakten verwehrt werden, dann stellt dies einen schweren Rechtseingriff dar. Verfassungsmäßig garantiertes Recht anzuwenden ist eine Aufgabe, die allen Behörden von der Verfassung auferlegt wird. Es sollte nicht vergessen werden, dass wenn die Behörden dieser Pflicht nachkommen würden, dies auch eine neue Gelegenheit schaffen würde, um zu den im Friedensprozess von Abdullah Öcalan vorgebrachten Ideen und der Priorisierung des Friedens zurückzukehren. Der Hungerstreik der politischen Gefangenen stellt dabei eine an die Behörden gerichtete Meinungsäußerung dar.
Die Gefangenen haben also einen politischen Standpunkt eingenommen, indem sie ihre Körper dem Hungern aussetzen. Diese Krise kann überwunden werden, indem der Fokus auf die Illegitimität der Bedingungen gelegt wird, die zu dieser psychisch wie körperlich gefährlichen Aktion geführt haben. Wenn die Forderungen der Gefangenen nicht ihrer eigenen Situation gelten, sondern sich auf ein im politischen wie verfassungsmäßigen Kontext legitimiertes Recht beziehen, so sind die Bedingungen, die zu dieser Situation führen, sofort aufzuheben. Gefordert wird, dass die Türkei ihr eigenes Verfassungsrecht und ihre Gesetze ohne Diskriminierung aufgrund politischer Ansichten oder Identität umsetzt.“