Im Fall des 14-jährigen Jungen aus Licê, der von türkischen Polizisten misshandelt und gefesselt in einen Sumpf geworfen sein soll, sind fünf Verdächtige offenbar festgenommen worden. Das teilte das Gouverneursamt in der kurdischen Provinz Amed (tr. Diyarbakır) mit. Es handele sich um einen Polizeikommissar der Bezirkswache in Licê und vier einfache Polizeibeamte. Unter anderem wegen des Verdachts der Gewalt gegen das Kind habe die örtliche Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Im Zuge eines Disziplinarverfahrens seien die Polizisten zudem vom Dienst suspendiert worden. Ob auch Haftbefehl gegen sie erlassen wird, gilt allerdings als unwahrscheinlich.
Der Übergriff auf den Jugendlichen hatte sich vergangenen Dienstag am Abend nach der großen Newroz-Feier in Amed ereignet. Nach seinen Schilderungen habe sich der Junge im Kreis Licê auf dem Heimweg befunden, als er von vier Polizisten abgefangen wurde. In einem abgelegenen Gebiet an einer Dorfstraße hätten sie ihn unter anderem mit Gewehrkolben geschlagen und aufgefordert, Kurden zu beschimpfen und zu sagen, er sei Türkei. Weil er dies nicht tat, sei er angehalten worden, bis zum nächsten Morgen die türkische Nationalhymne auswendig zu lernen. Sollte er auch dies verweigern, würde man ihm „in den Kopf schießen“.
Nach der Tortur wurde der Jugendliche in gefesseltem Zustand in ein sumpfiges Gelände unweit eines Baches geworfen, der durch das Zentrum von Licê fließt. Sein Mund wurde mit Klebeband zugeklebt. Ein Mann, der sich in einer nahegelegenen Scheune nach seiner Tierherde umsehen wollte, vernahm das Wimmern des Kindes und brachte es sofort in ein Krankenhaus. Der Junge war zunächst im staatlichen Krankenhaus von Licê untersucht und dann an die medizinische Fakultät der Dicle-Universität in Amed überwiesen worden. Mittlerweile konnte er die Klinik wieder verlassen, doch die Gefahr, dass er sein rechtes Auge infolge der schweren Misshandlungen verlieren könnte, ist noch nicht gebannt.
Wie Nahit Eren, Vorsitzender der Anwaltskammer Diyarbakır, mitteilte, wurden nur zwei der Polizisten in Licê festgenommen. Die anderen drei Beamten seien in Ankara aufgegriffen worden, erklärte der Jurist. Laut dem Gouverneur hätten sie sich zum Zeitpunkt ihrer Festnahme im Diensturlaub befunden. Da das türkische Innenministerium für die Newroz-Feier in Amed aus nahezu allen Provinzen des Landes Einsatzkräfte in die kurdische Widerstandshochburg geschickt hatte, ist es gut möglich, dass sich die Dienststelle der Polizisten in Ankara befindet.
Anwaltskammer begleitet Kind und Familie
Drei Tatverdächtige hat der Junge auf Fotos erkannt, die ihm im Rahmen einer staatsanwaltlichen Befragung auf der Gendarmeriewache in Licê gezeigt wurden. Ob es sich um die Polizisten aus Ankara handelt, ist allerdings nicht bekannt. „Unsere Kammer wird das Opfer und seine Familie begleiten und sicherstellen, dass die Ermittlungen nicht gefährdet werden“, betonte Eren.