Urgent Action für Pakhshan Azizi
Amnesty International setzt sich mit einer Urgent Action für die im Iran zum Tode verurteilte Sozialarbeiterin Pakhshan Azizi ein und fordert ihre bedingungslose und unverzügliche Freilassung.
Amnesty International setzt sich mit einer Urgent Action für die im Iran zum Tode verurteilte Sozialarbeiterin Pakhshan Azizi ein und fordert ihre bedingungslose und unverzügliche Freilassung.
Amnesty International setzt sich mit einer Urgent Action für die im Iran zum Tode verurteilte Sozialarbeiterin Pakhshan Azizi ein. „Der Kurdin Pakhshan Azizi droht im Iran die Hinrichtung, nachdem sie im Juli 2024 in Verbindung mit friedlichen humanitären und menschenrechtlichen Aktivitäten zum Tode verurteilt worden war. Sie hatte vertriebenen Frauen und Kindern im Nordosten Syriens geholfen. Ihr Prozess entsprach nicht den internationalen Standards, und ihre Folter- und Misshandlungsvorwürfe wurden nie untersucht“, teilte die Menschenrechtsorganisation mit und rief zu Appellen an die iranische Botschaft in Brüssel auf.
Forderungen von Amnesty International
Amnesty fordert:
Bitte stoppen Sie jegliche Pläne zur Hinrichtung von Pakhshan Azizi, heben Sie ihren Schuldspruch und ihr Todesurteil auf und lassen Sie sie unverzüglich und bedingungslos frei, da sie nur wegen ihrer friedlichen humanitären und menschenrechtlichen Tätigkeiten in Haft gehalten wird.
Gewähren Sie ihr bis zu ihrer Freilassung unbedingt Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung sowie zu ihrer Familie und ihrem Rechtsbeistand, und schützen Sie sie vor weiterer Folter und Misshandlung.
Sorgen Sie zudem dafür, dass ihre Foltervorwürfe unabhängig, zielführend und unparteiisch untersucht und die mutmaßlich Verantwortlichen in fairen Verfahren vor Gericht gestellt werden.
Bitte verhängen Sie umgehend ein offizielles Hinrichtungsmoratorium als ersten Schritt hin zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe.
Sachlage
Zur Sachlage der Ende September initiierten Urgent Action heißt es bei Amnesty International:
Pakhshan Azizi droht die Hinrichtung, nachdem sie im Juli 2024 vor der Abteilung 26 des Teheraner Revolutionsgerichts zum Tode verurteilt worden war. Die 40-Jährige, die bei einer Hilfsorganisation tätig ist und sich zivilgesellschaftlich engagiert, gehört der unterdrückten kurdischen Minderheit im Iran an. Ihr Todesurteil wegen „bewaffneter Rebellion gegen den Staat" (baghi) basiert lediglich auf ihren friedlichen menschenrechtlichen und humanitären Aktivitäten. So leistete sie zwischen 2014 und 2022 humanitären Hilfe für Frauen und Mädchen, die von der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat vertrieben worden waren und sich in Lagern im Nordosten Syriens und in der irakischen Region Kurdistan aufhielten. Ihr gegen das Todesurteil eingelegte Rechtsmittel ist derzeit vor dem Obersten Gerichtshof anhängig.
Am 4. August 2023 nahmen Angehörige des Geheimdienstministeriums Pakhshan Azizi willkürlich in ihrer Wohnung in Teheran fest. Daraufhin fiel sie dem Verschwindenlassen zum Opfer, was ein völkerrechtliches Verbrechen darstellt. Ohne ihre Familie darüber zu informieren, hielten die Sicherheitskräfte Pakhshan Azizi fünf Monate lang in der dem Geheimdienstministerium unterstehenden Abteilung 209 des Teheraner Evin-Gefängnisses in Einzelhaft fest. Auch der Zugang zu einem Rechtsbeistand wurde ihr verweigert. Gut informierten Quellen zufolge wurde sie in dieser Zeit verhört und dabei gefoltert und anderweitig misshandelt. Die Sicherheitskräfte sagten Pakhshan Azizi wiederholt, sie habe kein Recht zu leben, und drohten ihr mit der Hinrichtung. Sie setzten die Kurdin auch geschlechtsspezifischer Gewalt aus, um sie dazu zu bringen, zu „gestehen", Verbindungen zu kurdischen Oppositionsgruppen zu haben, was Pakhshan Azizi durchgehend abstritt. Anfang Dezember 2023 verlegte man sie in den Frauentrakt des Evin-Gefängnisses.
Der Prozess gegen Pakhshan Azizi, der in zwei Sitzungen am 28. Mai und 16. Juni 2024 stattfand, entsprach bei Weitem nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren. Die Angeklagte hatte weder die Zeit noch die Möglichkeit, sich angemessen auf ihre Verteidigung vorzubereiten. Sie durfte ca. drei Wochen vor der Verhandlung einige wenige Telefonate mit den von ihr gewählten Rechtsbeiständen führen, und sah sie im Gerichtssaal zum ersten Mal. In dem Gerichtsurteil wird als „Beweismittel" gegen Pakhshan Azizi angeführt, dass sie im Jahr 2009 an einer Demonstration gegen die Hinrichtung eines iranischen Kurden teilgenommen hatte. In dem Urteil heißt es auch, sie habe die Familien der bei den landesweiten Protesten im Jahr 2022 rechtswidrig Getöteten unterstützt.
Hintergrundinformationen
Am 4. August 2023 nahmen Angehörige des Geheimdienstministeriums Pakhshan Azizi und einige Familienangehörige bei sich zuhause in Teheran fest. Ihr Vater Aziz Azizi und ihre Schwester Pashang Azizi wurden in das Evin-Gefängnis gebracht und etwa zwei Wochen später gegen Kaution freigelassen. Ihr Vater und ihre Schwester wurden im selben Verfahren wie Pakhshan Azizi vor der Abteilung 26 des Revolutionsgerichts angeklagt und erhielten jeweils eine ein- bis zweijährige Freiheitsstrafe. Grundlage waren Vorwürfe in Verbindung mit der nationalen Sicherheit sowie andere Anklagen. Unter anderem wurde ihnen vorgeworfen, „einer Kriminellen geholfen zu haben, einem Prozess und einer Verurteilung zu entgehen", was sich offensichtlich auf Pakhshan Azizi bezog. Die Verurteilungen wurden Ende September 2024 im Rechtsmittelverfahren aufrechterhalten.
In einem Interview mit iranischen Medien am 24. Juli 2024 nach der Urteilsverkündung gegen Pakhshan Azizi bekräftigte einer ihrer Rechtsbeistände, dass „Frau [Pakhshan] Azizi nie an bewaffneten Operationen teilgenommen hat, sondern [...] vielmehr ab 1394 [2015/2016 nach gregorianischem Kalender] wegen der Verbrechen von Da'esh [der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS)] in das Gebiet von Rojava [Nordostsyrien] gegangen ist und als Sozialarbeiterin Flüchtlingen und Opfern [des IS] geholfen hat." Im selben Interview erklärte ihr Rechtsbeistand: „Selbst im Urteilsspruch gibt es keinen Hinweis auf bewaffnete Einsätze oder eine bewaffnete Konfrontation zwischen Frau [Pakhshan] Azizi und einer iranischen staatlichen oder nichtstaatlichen Stelle."
Seit ihrer willkürlichen Inhaftierung ist Pakhshan Azizi mehrmals in den Hungerstreik getreten, u. a. im Mai 2024, um dagegen zu protestieren, dass die kurdische Aktivistin Wrisha Moradi aus dem Frauentrakt in die Abteilung 209 des Evin-Gefängnisses verlegt worden war. Sie beendete ihren Hungerstreik, als Wrisha Moradi wieder in den Frauentrakt zurückverlegt wurde. Als Vergeltungsmaßnahme dafür, dass Pakhshan Azizi auch im Gefängnis ihren Menschenrechtsaktivismus fortführte, haben die Behörden zwei neue Verfahren gegen sie angestrengt und ihr den Kontakt zu ihrer Familie verweigert. Mitte August 2024 leiteten die Behörden laut einer gut informierten Quelle ein Verfahren gegen Pakhshan Azizi wegen „Aufruhr im Gefängnis" ein. Dies hing mit ihrem Aktivismus bezüglich der Präsidentschaftswahlen im Iran zusammen, die in zwei Runden zwischen Ende Juni und Anfang Juli 2024 stattfanden. Vom 6. Juli bis Mitte September 2024 verweigerten die Behörden der Menschenrechtlerin jeglichen Kontakt zu ihrer Familie. Persönliche Besuche ihrer Familie sind ihr bis heute untersagt. Das zweite Verfahren wurde Anfang September 2024 gegen sie angestrengt und bezog sich auf eine Protestveranstaltung, die Pakhshan Azizi mit einigen Mitgefangenen, darunter der inhaftierten Menschenrechtlerin Narges Mohammadi, im Frauentrakt des Evin-Gefängnisses abgehalten hatte, um den verstärkten Einsatz der Todesstrafe im Iran anzuprangern.
Seit den Protesten unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit" Ende 2022 machen die iranischen Behörden verstärkt von der Todesstrafe Gebrauch, um die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen und ihre Macht zu festigen. Unter anderem werden vermehrt Todesurteile gegen Angehörige unterdrückter ethnischer Minderheiten verhängt, z. B. gegen Belutsch:innen und Kurd:innen. Am 29. Januar 2024 richteten die iranischen Behörden willkürlich Pejman Fatehi, Vafa Azarbar, Mohammad (Hazhir) Faramarzi und Mohsen Mazloum hin. Bei ihnen handelte es sich um kurdische Dissidenten, die nach einem grob unfairen Verfahren Ende 2023 zum Tode verurteilt worden waren. Die Behörden ließen die Männer am 20. Juli 2022 verschwinden und schikanierten ihre Familien. Auch Frauen werden im Iran derzeit vermehrt auf der Grundlage politisch motivierter Anschuldigungen zum Tode verurteilt. Im Juni 2024 verurteilte ein Revolutionsgericht in der Provinz Gilan die Menschenrechtlerin Sharifeh Mohammadi wegen „bewaffneter Rebellion gegen den Staat" (baghi) zum Tode, nur weil sie sich friedlich für die Menschenrechte eingesetzt hatte. Mindestens eine weitere Frau, Wrisha Moradi, wurde ebenfalls wegen „bewaffneter Rebellion gegen den Staat" (baghi) vor Gericht gestellt. Im Jahr 2023 vollstreckten die Behörden mindestens 853 Todesurteile. Angehörige der verfolgten belutschischen Minderheit, die etwa 5 % der iranischen Bevölkerung ausmachen, sind von der Anwendung der Todesstrafe unverhältnismäßig stark betroffen: 20 % aller Hinrichtungen im Jahr 2023 entfielen auf sie. Die iranischen Behörden haben die Exekutionen auch 2024 fortgesetzt und dabei auch Angehörige ethnischer Minderheiten und Andersdenkende ins Visier genommen.
Im Iran werden ethnische Minderheiten, darunter kurdische Bevölkerungsgruppen, nach wie vor diskriminiert, was Bildung, Beschäftigung, angemessenen Wohnraum und die Übernahme politischer Ämter betrifft. Regionen, in denen ethnische Minderheiten leben, erhalten nicht genügend staatliche Mittel, was die Armut und Ausgrenzung der dortigen Bevölkerung noch verstärkt. Sicherheitskräfte töteten 2023 rechtswidrig zahlreiche unbewaffnete kurdische Kuriere (kulbar), die Güter zwischen den kurdischen Regionen des Irans und Iraks hin- und hertransportierten. Diese Tötungen gingen straflos aus. Amnesty International hat zudem dokumentiert, dass die iranischen Behörden routinemäßig Angehörige der kurdischen Minderheit willkürlich festnehmen und inhaftieren, nur weil sie tatsächlich oder vermeintlich kurdische Parteien unterstützen oder diesen nahestehen. Die Behörden legen nur selten ausreichende Beweise vor, die auf eine direkte oder indirekte Beteiligung an einer international als Straftat anerkannten Handlung schließen lassen.