„Die Suche nach Freiheit wird in den Bergen Wirklichkeit“

Xwinreş Botan ist Guerillakämpfer bei den HPG. Im Interview mit ANF sprach er über seine Zeit als Minderjähriger in türkischer Haft und über die Bedeutung des Gefängniswiderstands für die Situation in den Bergen.

Tag für Tag kommt es in der AKP-regierten Türkei zu neuen Verhaftungen und Angriffen auf die Bevölkerung. Xwinreş Botan, ein Guerillakämpfer bei den Volksverteidigungskräften (Hêzên Parastina Gel, HPG), erlebte schon im Kindesalter die Gewalt des türkischen Staates und seines Gefängnissystems am eigenen Leib. Im Gespräch mit ANF bewertet er den am 27. November begonnenen Hungerstreik gegen die Isolation Abdullah Öcalans und die völlige Entrechtung in den Gefängnissen sowie die Angriffe des türkischen Staates in den Guerillagebieten und den Widerstand dagegen.

Botans Entscheidung, in die Berge zu gehen, folgte auf eine Verhaftung im Jahr 2009: „Der Grund dafür, dass wir als Minderjährige schon verhaftet wurden, war, dass wir uns mit der Freiheitsbewegung identifizierten. Die Liebe meiner Familie zu ihrem Land und ihr Engagement für die Bewegung haben dafür gesorgt, dass auch ich mich mehr und mehr auf den von der Bewegung gezeichneten Weg begeben habe. Aufgrund dieser Sympathie und dieser Identifikation bin ich dann in die politische Arbeit gegangen. Wo auch immer etwas gebraucht wurde, habe ich mich eingebracht. Ich habe in der Zeit wie jeder revolutionäre jugendliche versucht, mich mit all meinen Fähigkeiten einzubringen.“

Als Minderjähriger in türkischer Haft

Als Konsequenz dessen verbrachte Xwinreş Botan sechs Monate im Gefängnis. „Es ließ sich sofort erkennen, dass auch unter den Gefangenen die Ideale der Bewegung gelebt werden. Das hat einem Kraft gegeben“, sagt Botan. Nach seiner Haftentlassung sei er so noch stärker in die Arbeit eingestiegen. „Bis 2010 habe ich so weitergemacht. In der Zeit gab es jede Woche Hausdurchsuchungen. Der Feind wollte meiner Familie und mir ein Leben in Frieden nicht zugestehen. Stattdessen wurde mittels dieser Durchsuchungen gesagt: ‚Wenn wir wollen, können wir dich jederzeit wieder einsperren.‘ Diese Situation war für mich ein Ansporn, noch mehr Anstrengungen in meine Arbeit zu legen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich ohnehin nicht viel Kontakt mit meiner Familie, weil ich gesucht wurde. Die Wahl, vor der ich stand, war entweder ins Gefängnis zu gehen oder in die freien Berge Kurdistans. Natürlich haben mich die Berge mehr angezogen und so habe ich mich entschlossen, mich der Guerilla anzuschließen.“

Erneute Verhaftung

Im Verlauf seines Anschlussprozesses wurde Xwinreş Botan durch einen Kollaborateur verraten und noch einmal verhaftet. Insgesamt befand er sich rund zwei Jahre in Untersuchungshaft. „Auch vor Gericht sind wir kein Stück von unserer Haltung abgerückt, welche die Linie der Bewegung und die Freiheit unseres Vorsitzenden Apo als Basis hat, was die Verteidigung in unserer Muttersprache und auch den politischen Standpunkt angeht. Das hat den Feind natürlich beunruhigt und deshalb wurden ohne weiteren Grund und trotz des geringen Alters hohe Haftstrafen verhängt. Die Moral und die Haltung der Freunde im Gefängnis hält einen auf den Beinen und gibt dir Willenskraft. Unsere äußeren Umstände waren vielleicht durch vier Mauern begrenzt, aber unsere Moral und unser Denken waren stark. Diese Situation spiegelte sich in den solidarischen Beziehungen untereinander wider.“

Der HPG-Kämpfer Xwinreş Botan

Die Grundlagen des freien Lebens wurden im Gefängnis gelegt

Wie Botan erzählt, waren weder er selbst noch seine Familie von der Repression überrascht: „Mit diesem Urteil wollte man einen psychologischen Krieg gegen mich und meine Familie führen. Aber weder bei mir noch bei meiner Familie hat das funktioniert. Denn wir wussten schon zu Beginn unserer politischen Arbeit, wozu unsere Feinde fähig sind. Im Gefängnis hat uns unsere Hoffnung auf Freiheit auf den Beinen gehalten. Diese Bewegung bringt den Menschen bei, immer ihre Hoffnung zu behalten. 2013 konnte ich mich dem Feind entziehen und ging in die freien Berge Kurdistans. Die Suche nach Freiheit wird in den Bergen Wirklichkeit. Aber die Grundlagen für dieses freie Leben sind in den 1980er Jahren in den Gefängnissen entstanden. Sie wurden von unseren Freunden gelegt, die eine Vorreiterrolle in der Bewegung hatten: Kemal, Mazlum, Hayri und andere haben diese Basis aufgebaut. Wenn ich auf den unvergleichlichen Widerstand von damals zurückschaue, dann stärkt das meine Hingabe und gibt mir Hoffnung und Kraft.“

Öcalans Ideen haben Einfluss auf den gesamten Mittleren Osten

Mit Blick auf 22 Jahre strikte Abschottung des kurdischen Vordenkers und PKK-Begründers Abdullah Öcalan von seiner Außenwelt und den dagegen geführten Widerstand sagt Xwinreş Botan, dass sich dieses Isolationshaftregime gleichzeitig auch gegen die Gesellschaft richtet. „Öcalans Ideen haben Einfluss auf den gesamten Mittleren Osten. Deshalb gibt es Aktionen für seine Freiheit in Kurdistan, in der Türkei und an anderen Orten der Welt. Die Führung dieser Aktionen übernehmen die Freundinnen und Freunde in den Gefängnissen. Mit ihnen zusammen wird ein Kampf in den Guerillagebieten, in der Gesellschaft und auf allen anderen Ebenen geführt. Für diesen Kampf müssen alle in Aktion treten. In den Haftanstalten des Regimes gibt es zehntausende politische Gefangene, die draußen Familie haben. Jeder muss seinen Teil zu diesem Kampf beitragen.

Der Feind hat seine Aggression auf die höchste Stufe angehoben

Wir befinden uns in einer Phase, in der wir der Freiheit sehr nah sind. Mein Aufruf geht vor allem an die Jugend Kurdistans und an die Mütter. Beide haben ihre Aufgaben zu jeder Zeit gut erfüllt. Und der jetzige Prozess ist noch wichtiger. Es ist die Phase der Entscheidung über Existenz oder Vernichtung. Wir sind in der Phase der Befreiung Öcalans, der Phase der Befreiung Kurdistans. Wenn wir jetzt nicht alle als Jugendliche und als Revolutionäre Verantwortung übernehmen, könnte es zu spät sein. Der Feind hat seine Aggression auf die höchste Stufe angehoben. Der Grund dafür ist, dass das Regime kurz vor seinem Ende steht. Bis jetzt hat es seine Existenz mit Kurdenfeindlichkeit gesichert. Es wurden die verschiedensten Arten von Angriffen geführt, um die Bevölkerung zu massakrieren. Der Staat verübte bisher ungesehene Grausamkeiten. Das Ziel von alldem ist, die eigene Macht zu erhalten.“

Mit ganzer Kraft an der Seite des Gefängniswiderstands und der Guerilla stehen

Aktuell befinde sich der „Gegner“ in einem Moment der Schwäche, führt Xwinreş Botan weiter aus. „Wenn alle ihre Aufgabe richtig übernehmen, dann übersteht das Regime nicht länger als ein Jahr. Wenn sich alle mit all ihrer Kraft in diesen Kampf einbringen, wird dieses Jahr das Jahr der Freiheit Abdullah Öcalans und das Jahr der Freiheit unseres Volkes sein. Die Guerilla verteidigt ihre Stellungen gegen die ununterbrochenen Angriffe in allen Bereichen technisch auf höchstem Niveau.

Unsere Gegner behaupten bei jeder Gelegenheit: ‚Wir haben die Guerilla besiegt.‘ Tatsächlich geht der selbstlose Kampf der Guerilla zwar mit Verlusten einher, aber sie hat heute eine stärkere Position und Moral als jemals zuvor. Die Angriffe schwächen uns nicht, sondern stärken nur unseren Glauben an die Freiheit und sind ein Grund, unseren Kampf auszuweiten. Wie ich vorhin schon gesagt habe, wurden die Grundlagen für diese Bewegung im Gefängnis gelegt. Jetzt dürfen wir den Widerstand in den Gefängnissen nicht allein lassen. Alle müssen sich aktiv in diesen Kampf einbringen und dem Widerstand der Gefangenen Kraft und Moral geben.

Die Guerilla hat dem Feind im vergangenen Jahr einige harte Schläge versetzt. Vor allem der Widerstand in Heftanîn hat unsere Gegner geschwächt. Die Quelle dieses Widerstands sind die Gefängnisse. Jeder sollte wissen, dass wir auf der Linie von Rêber Apo voranschreiten werden, solange noch ein Tropfen Blut in unseren Adern fließt. Jeder sollte dies wissen und entsprechend handeln. Niemand kann behaupten, er könne nichts dazu beitragen. Wir müssen mit ganzer Kraft an der Seite des Gefängniswiderstands und der Guerilla stehen.“