WD: Zweifel an Rechtmäßigkeit türkischer Militärinvasion

Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags äußerten in einem Gutachten zur Errichtung einer Pufferzone in Nordsyrien Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer türkischen Militäroffensive.

Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags haben im Auftrag der migrationspolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Gökay Akbulut, ein Gutachten zur Errichtung einer Pufferzone in Nordsyrien und die Angriffsdrohungen des türkischen Staates veröffentlicht.

Bundesregierung verfügt über kein vollständiges Lagebild“

Zur Errichtung der „Sicherheitszone“ erklären die Wissenschaftlichen Dienste, die Bundesregierung verfüge über kein vollständiges Lagebild der Situation an der türkisch-syrischen Grenze oder will nähere Informationen aus Geheimhaltungsgründen nicht preisgeben. Die migrationspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Gökay Akbulut, sagt hierzu: „Das überrascht mich nicht, denn die Bundesregierung hat in vielen Angelegenheiten entweder keine Ahnung, keine Meinung oder beantwortet einfach nicht die Fragen unserer Fraktion. Dies ist ein skandalöser Zustand!“

Gewaltandrohungen sind zwar verboten, aber normal

Zu den Drohungen des Erdoğan-Regimes gegenüber Nord- und Ostsyrien erklären die Wissenschaftlichen Dienste ausführlich, die Androhung von Gewalt sei ebenso wie deren Ausübung nach der UN-Charta verboten, fährt aber folgend fort: „Tatsächlich gibt es in der Staatenpraxis – ungeachtet zahlloser ‚verbaler Entgleisungen‘ von Regierungspolitikern – praktisch keine Fälle, in denen die bloße Androhung von Gewalt von dem bedrohten Staat als Verletzung von Art. 2 Ziff. 4 VN-Charta gebrandmarkt oder gar gerichtlich festgestellt wurde. Offenbar zeichnet die Staatengemeinschaft ein hohes Maß an Toleranz gegenüber entsprechenden Ankündigungen und Statements von Politikern aus. Somit wird man im Ergebnis die Ankündigungen Erdoğans nicht ohne weiteres als Verletzung des Gewaltverbots (Art. 2 Ziff. 4 VN-Charta) qualifizieren können.“

Die linke Abgeordnete Gökay Akbulut kommentiert: „Selbst wenn sich der Wissenschaftliche Dienst nicht eindeutig festlegen kann, ob die Drohungen ohne weiteres als Verletzung des Gewaltverbots qualifiziert werden können, ist es für mich eindeutig: Erdoğan droht nicht nur immer wieder mit Gewalt, sondern wendet sie direkt an, wie zum Beispiel auf irakischem Boden gegen Kurden und auch indirekt über ihre dschihadistischen Handlanger in Syrien.“

Zweifel an Argumentation der Türkei mit Selbstverteidigung

Die Wissenschaftlichen Dienste vermuten: „Möglicherweise ist die Einrichtung einer ‚Sicherheitszone‘ weniger den legitimen Sicherheitsinteressen der Türkei als vielmehr dem Umstand geschuldet, dass syrische Flüchtlinge aus der Türkei in die türkisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens rückgeführt werden sollen.“ Die Abgeordnete Akbulut weist darüber hinaus daraufhin: „Ein Ziel der Türkei ist es, ein großes, zusammenhängendes und von Kurden bewohntes Gebiet zu verhindern, indem die türkische Regierung arabischstämmige Flüchtlinge in der geschaffenen ‚Sicherheitszone‘ ansiedelt.“

Die Wissenschaftlichen Dienste erklären weiter, „die Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht" setzten voraus, dass ein bewaffneter Angriff von nicht unerheblicher Intensität auf das Territorium der Türkei aktuell vorliegt oder unmittelbar bevorsteht. Eine Reaktion darauf müsste notwendig und angemessen sein. Überdies müsste die Türkei als verfahrensmäßiger Schritt den VN-Sicherheitsrat informieren.“ Dass Einheiten der YPG und schwere Waffen laut Medienberichten bereits von der türkisch-syrischen Grenze abgezogen worden seien, spräche auf den ersten Blick gegen das Vorliegen einer akuten Selbstverteidigungslage. Akbulut sagt dazu: „Ich möchte daran erinnern, dass der türkische Geheimdienst-Chef Hakan Fidan angekündigt hat, dass er ‚wenn nötig vier Leute nach Syrien schicken und acht Raketen in die Türkei abfeuern lassen würde‘. Wenn man dies auch berücksichtigt, gibt es für die Türkei keine völkerrechtlich hinreichende Selbstverteidigungslage.“

Wissenschaftliche Dienste bezeichnen Nordsyrien als Autonomiezone

Die Wissenschaftlichen Dienste bezeichnen Nordostsyrien als „Autonomiezone“. Akbulut sagt dazu: „Egal was die Türkei macht oder plant, sie kann nicht mehr verhindern, dass die kurdische Autonomiezone als solche anerkannt wird. Das ist ein Erfolg für die Kurdinnen und Kurden.“