Warşîn Avaşîn: Ihr Volk und Land verteidigt

Warşîn Avaşîn war sehr jung, als sie sich aus der kurdischen Widerstandshochburg Amed der Guerilla angeschlossen hat. Sie war die 35. Gefallene des Widerstands von Heftanîn. Sie fehlt uns.

Warşîn Avaşîn war eine der Guerillakämpferinnen, die ihr Leben bis zu ihrem letzten Atemzug der Menschheit und der Freiheit gewidmet haben. Sie war sehr jung, als sie sich aus der kurdischen Widerstandshochburg Amed der Guerilla angeschlossen hat.

In einer Reportage hat sie erklärt, wie sich dieser Entschluss bei ihr entwickelt hat: „Bekannte und Verwandte von mir sind zur Guerilla gegangen. Einige von ihnen sind gefallen und das hat mich sehr betroffen gemacht. Außerdem machte der Feind ununterbrochen Druck. Polizei, Militär und Politiker machten das kurdische Volk schlecht. In der Zeit zwischen 2013 und 2015, die als Lösungsprozess bezeichnet wird, fanden Gespräche zwischen Rebêr Apo [Abdullah Öcalan] und seinen Anwälten statt. In einem dieser Gespräche sagte er: ,Unsere Arbeit ist nicht offiziell, es gibt keine offiziellen Dokumente oder eine Unterschrift. Wenn der Verhandlungstisch morgen umgeworfen wird, werdet ihr alle verurteilt werden.' Diese Worte machten großen Eindruck auf mich und ich traf die Entscheidung, mich der Bewegung anzuschließen. 2014 bin ich zur Guerilla gegangen.“

Ich kenne Warşîn seit ihrem ersten Tag bei der Guerilla. 2015 wurde sie in den militärischen Bereich geschickt. Sie nahm aus vollem Herzen und sehr aufmerksam an der Arbeit teil. Obwohl sie noch so jung war, zeigte sie Reife und beeindruckte uns alle mit ihrem Enthusiasmus, ihrer Energie und ihrem Lächeln. Sie war sehr aktiv und konnte nicht stillhalten. Sie entwickelte sich fließend und übernahm Verantwortung im Leben.

Am 20. April 2019 brachen wir gemeinsam auf. Einen Tag später trennten sich unsere Wege. Erst im März 2020 trafen wir uns in Heftanîn wieder. Sie hatte sich ihre Lebendigkeit bewahrt und sich weiter gebildet. Sie nahm jetzt noch bewusster an allem teil. Ein bisschen war sie auch gewachsen. Ihr Traum war es, Abdullah Öcalan zu treffen und bei der Guerilla in Amed zu kämpfen.

In der Nacht vom 16. auf den 17. Juni hat der faschistische türkische Staat die Besatzungsoperation in Heftanîn gestartet. Die Invasion basierte hauptsächlich auf technologischen Mitteln. Die Vorhut bildeten Kontras, Dschihadisten und Dorfschützer. Die regulären Soldaten hatten nicht den Mut, gegen die Guerilla zu kämpfen.

Zu Beginn der Operation kämpften Warşîn und Zeryan, beide noch sehr junge Frauen, drei Tage lang mit einem schweren Maschinengewehr (DschK) auf dem Tepê Şehîd Berivan gegen den Feind. Später leisteten sie Widerstand auf dem Tepê Şehîd Dersim. Als Heval Zeryan am 25. Juni gefallen ist, schwor Warşîn Rache.

Sie ging vor allen anderen an die Front. Um ihr Volk und ihr Land zu verteidigen, nahm sie selbstlos alle Schwierigkeiten in Kauf. Zuletzt haben wir uns am 27. Juni in Pirbula gesehen und voneinander verabschiedet. Bevor wir uns trennten, gab sie mir ihr Tagebuch. Ich solle die leeren Seiten vollschreiben, sagte sie. Erst zwei Tage vor ihrem Tod, am 6. August 2020, schrieb ich auf, was mir durch den Kopf ging. Woher hätte ich wissen sollen, dass es unser letzter Abschied gewesen war, sie zwei Tage später fallen würde und ich zwei Tage nach ihrem Tod diesen Text schreiben würde.

Es heißt ja, dass Menschen manchmal ahnen, was geschehen wird. Als Heval Warşîn mir ihr Heft gab, sagte sie: „Lies mein Tagebuch. Vielleicht hat die Organisation die Möglichkeit, die Wünsche, die ich aufgeschrieben habe, zu erfüllen.“

Die schmerzliche Nachricht von ihrem Tod hörte ich über Funk. Es war der 53. Tag der Operation, der 8. August 2020, kurz vor dem Jahrestag des Beginns des bewaffneten Kampfes am 15. August 1984. Der Ort war Heftanîn, das Gebiet Pirbula.

Der Feind hatte sich wie immer von Verrätern anführen lassen und war in die Gegend eingesickert, in der sich die Freundinnen und Freunde aufhielten. Warşîn empfing die Verräter zunächst allein und kämpfte heldenhaft. Sie kämpfte, bis ihre Weggefährt*innen beisammen waren. Dann ging sie aufrecht zu den Gefallenen des Widerstands von Heftanîn über. Sie war die 35. Gefallene in Heftanîn.

Wenn ich behaupten würde, dass Warşîns Tod mich nicht erschüttert hätte, würde ich meine Gefühle verleugnen. Sie war so jung, als sie zu uns kam. Sie wuchs an unserer Seite auf und entwickelte sich. Sie machte Erfahrungen. Ihre Hoffnungen, Träume und Ziele waren groß und stark. Sie zeigte sehr viel Einsatz, um ihre Ziele zu erreichen. Hindernisse ließ sie nicht gelten. Sie war eine beispielhafte Militante, die den revolutionären Prinzipien verbunden war. Sie war eine bescheidene, liebenswerte, selbstlose und fleißige Weggefährtin. Mit ihrer Aufrichtigkeit, ihrer Liebe und ihrem Respekt ihren Freundinnen und Freunden gegenüber wurde auch sie überall geliebt und geachtet. Sie hat die Herzen ihrer Weggefährt*innen erobert.

Wie viel ich auch schreibe über diese junge und schöne Freundin, es scheint nicht ausreichend. Sie hat schwere und bedeutende Aufgaben übernommen. Anstelle eines langen, aber sinnlosen Lebens hat sie ein kurzes Leben mit großer Bedeutung vorgezogen, das Spuren in der Geschichte hinterlässt und ihrem Volk und Land gewidmet war. Sie fehlt uns.

Falls es ihnen möglich ist, sollten sie Scham empfinden, die Verräter und Kollaborateure, die sich beim türkischen Staat anbiedern. Unsere Gefallenen weisen uns den Weg. Uns bleibt die Aufgabe, ihre Ziele und Hoffnungen zu verwirklichen.