Wan – Eine geraubte Provinz

Obwohl die Bevölkerung von Wan bei den Kommunalwahlen im März 2019 der HDP den Vorzug gab, hat das AKP-Regime die HDP-Regierungen in allen zehn Kreisstädten suspendiert und durch Zwangsverwalter ersetzen lassen.

Die Provinzhauptstadt Wan (Van) ist die zweitgrößte Stadt Nordkurdistans und ebenso wie weite Teile der Provinz eine Hochburg der Demokratischen Partei der Völker (HDP). Die Bevölkerung lebt unter ständiger politischer und militärischer Repression des AKP-Regimes. Trotz aller Versuche des Wahlbetrugs und der Erpressung hatte die AKP bei jeder Kommunalwahl und so auch am 31. März in diesem Jahr eine Niederlage in der Provinz einfahren müssen. Doch das Regime akzeptierte die Wahl der Bevölkerung nicht. Bereits die 2014 gewählten Kommunalverwaltungen der Partei der Demokratischen Regionen (DBP) waren durch Zwangsverwalter ersetzt worden. Nun erging es den im Frühjahr gewählten HDP-Ko-Bürgermeister*innen ebenso. In allen zehn von der HDP regierten Kreisen in Wan wie auch in der Großstadt selbst wurden Zwangsverwalter ernannt.

Bei den Wahlen am 31. März hatte die HDP in Wan-Stadt mit 53 Prozent, in Qerqelî (Özalp) mit 75 Prozent, in Reya Armûsê (Ipekyolu) mit 54 Prozent, in Erdîş (Erçiş) mit 49 Prozent, in Bêgirî (Muradiye) mit 42 Prozent, in Ebex (Çaldıran) mit 53 Prozent, in Tuşba mit 52 Prozent, in Êrdmed (Edremit) mit 53 Prozent, in Mehmûdî (Saray) mit 61 Prozent und in Elbak (Başkale) mit 71 Prozent gewonnen. In all diesen Kreisen hat das AKP-Regime die Ko-Bürgermeister*innen absetzen und verhaften und an ihrer Stelle Zwangsverwalter einsetzen lassen.

Wan ist ein Stachel in Erdoğans Fleisch

Immer wieder hatte der türkische Regimechef Erdoğan in der Provinz Wan mit aller Macht versucht, sich bei den Wahlen durchzusetzen. Dabei war ihm jedes Mittel Recht, vom Wahlbetrug bis hin zu Bestechung und Bedrohung. Doch obwohl er mit großen Ressourcen in den Wahlkampf in Wan ging, erlitt seine Partei in der wichtigen kurdischen Provinz immer wieder deutliche Niederlagen, so auch bei den Wahlen am 31. März. Schon vor den Wahlen hatte Erdoğan angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs der HDP sämtliche Kommunalverwaltungen absetzen zu lassen. Diese Drohung begann er am 19. August wahr zu machen, indem er die Ko-Bürgermeister*innen von Amed (Diyarbakır), Wan und Mêrdîn (Mardin) des Amtes entheben und durch Zwangsverwalter ersetzen ließ. Nach der Ernennung des Zwangsverwalters in Wan wurden Dutzende Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung entlassen und Hunderte an entlegene Orte versetzt. Die Kasse der Stadtverwaltung wurde geplündert, so dass die Angestellten nicht mehr bezahlt werden konnten.

Zweiter Erdbeben in Erdîş

Die AKP-Regierung ernannte am 15. Oktober einen Zwangsverwalter in der Kommunalverwaltung von Erdîş und ließ die Ko-Bürgermeisterin Yıldız Çetin verhaften. Sie wurde am 11. Dezember in das etwa 800 Kilometer von Wan entfernte T-Typ-Gefängnis von Osmaniye verlegt. Erdîş ist ein traumatisierter Landkreis. Die Stadt war vom Erdbeben 2011 vollkommen dem Erdboden gleich gemacht worden und kam mit der Wahl einer DBP-Stadtverwaltung im Jahr 2014 langsam wieder auf die Beine. Die DBP ist Mitgliedspartei in der HDP. 2016 wurde ein Zwangsverwalter ernannt. Der Zwangsverwalter herrschte in den Jahren 2016 bis 2019 über die Stadt und verteilte den gesamten Besitz der Kommunalverwaltung an Anhänger der AKP. Bei den Wahlen am 31. März wählte die Bevölkerung die HDP. Die HDP-Verwaltung hatte in kurzer Zeit große Teile der Stadt modernisiert und erfuhr große Unterstützung durch die Bevölkerung. Aber die AKP schickte am 15. Oktober erneut einen Zwangsverwalter.

Reya Armûsê: Zwangsverwalter stellt Unterstützung für Bevölkerung ein

Die größte Kreisstadt von Wan ist Reya Armûsê. Die HDP-Ko-Bürgermeister*innen wurden am 8. November mit einem vom Innenministerium ernannten Zwangsverwalter ausgetauscht und ebenfalls verhaftet. Der Ko-Bürgermeister Azim Yacan wurde ins weit entfernte Gefängnis von Erzurum gebracht. Der Zwangsverwalter stellte sämtliche Dienstleistungen der Stadtverwaltung ein. Zuvor hatten beispielsweise Bauern Saatgut von der Verwaltung erhalten und in vielen Siedlungen waren Gewächshäuser errichtet worden.

Kreisstadt in AKP-Dorf umgewandelt

Mehmûdî liegt direkt an der iranischen Grenze. Aufgrund des Embargos durch die Türkei wirkt die Stadt wie ein kleines Dorf. Obwohl der Ort an der Grenze nach Ostkurdistan (Iran) liegt, kann er nicht vom Grenzhandel profitieren. Der türkische Staat hat die ökonomische Entwicklung des Orts systematisch behindert. Die Menschen von Mehmûdî haben 2014 DBP und 2019 HDP gewählt. Die HDP holte bei den Kommunalwahlen am 31. März 61 Prozent der Stimmen. Am 2. November wurde ein Zwangsverwalter in der Stadt eingesetzt und die Ko-Bürgermeisterin Caziye Duman verhaftet.

Geraubte Stimmen aufgrund von Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst

Auch in Tuşba, Êrdmed und Ebex verlor die AKP die Wahlen. Obwohl der Ko-Bürgermeister von Tuşba mit 53 Prozent der Stimmen gewählt wurde, erhielt er kein Mandat. Als Vorwand diente die Tatsache, dass er während des Ausnahmezustands per Dekret aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden war. An seiner Stelle wurde der AKP-Politiker Salih Akman eingesetzt.

In Êrdmed hatte die Ko-Bürgermeisterin Gülçan Kaçmaz Sayyiğit 54 Prozent der Stimmen auf sich und die HDP vereinen können. Auch hier wurde eine Entlassung per Ausnahmezustandsdekret als Vorwand genutzt, ihr kein Mandat zu erteilen. An ihrer Stelle wurde der AKP-Politiker Ismail Sayı zum Bürgermeister ernannt.

In Ebex wurde die mit 53 Prozent der Stimmen gewählte Ko-Bürgermeiserin Leyla Balkan aus dem gleichen Grund nicht zugelassen.