Von der medizinischen Fakultät zur Guerilla

Kendal Amanos war Medizinstudent, als er sich der Guerilla in den Bergen Kurdistans anschloss. Jetzt ist er Guerillaarzt in der umkämpften Region Xakurke.

Mitten im Kriegsgebiet treffen wir auf Kendal Amanos. Er stammt aus Riha (Urfa), ist in Osmaniye aufgewachsen und hat sich als Medizinstudent der Guerilla angeschlossen. Jetzt ist er als Guerillaarzt in Xakurke, einem Gebiet in Südkurdistan, das die türkische Armee seit zwei Monaten zu besetzen versucht. Wir haben mit ihm über seinen Werdegang, seine Tätigkeit als Arzt in den Bergen und den Widerstand in Xakurke gesprochen.

Wir befinden uns in den Bergen Kurdistans, die der türkische Staat zu besetzen versucht. Du nimmst als Guerillakämpfer und Arzt an dem Widerstand teil. Wie ist es dazu gekommen, warum hast Du Dich für die PKK und die Berge entschieden?

Bevor ich mit meinem Medizinstudium begonnen habe, kannte ich die kurdische Bewegung kaum. Ich wusste nicht viel über unsere gesellschaftliche Realität, hatte bestimmte Vorstellungen. Parallel dazu hatte ich ein humanitäres Verständnis, das mich auch zu meinem Beruf geführt hat. Mich machte es glücklich, etwas für die Menschen tun zu können. Deshalb habe ich mich für das Gesundheitswesen entschieden. Ich habe mich mit der Frage beschäftigt, wie eine gesunde Gesellschaft entstehen kann. An der Universität habe ich andere Kurden getroffen und die Verteidigungsschriften von Abdullah Öcalan gelesen. Dadurch habe ich mich immer mehr mit der kurdischen Realität verbunden gefühlt. Kurz vor Abschluss meines Studiums habe ich mich entschieden, das gegebene System zu verlassen. Mir war klar geworden, dass ich aktiv werden muss gegen das, was dem kurdischen Volk angetan wird. Ich habe die Repression gegen die Studierenden im revolutionären Kampf miterlebt. Deswegen habe ich vieles hinterfragt. Ich lernte die Realität des Feindes kennen. Dadurch entstand bei mir ein Bewusstsein und ich hatte das Gefühl, dass unser Kampf vergrößert werden muss. Als ich die Verteidigungsschriften von Öcalan gelesen habe, stellte ich fest, dass darin die Wahrheit liegt, nach der ich gesucht hatte. Es war für mich der richtige Weg, den Kampf auf anderem Gebiet zu führen, bei der Guerilla in den Bergen Kurdistan.

Jetzt bist Du in den Bergen mitten im Kampfgebiet als Arzt tätig. Wie fühlt sich das an?

Freundinnen und Freunde, mit denen ich ständig zusammen bin und alles teile, werden verwundet. Um ihnen helfen zu können, ist eine besondere Stärke notwendig. Wir versuchen, nicht zu emotional mit ihnen umzugehen. Es kommt vor, dass du einen Freund verlierst, mit dem du zusammen unterwegs warst und die gleichen Gefühle geteilt hast. Als Mediziner musst du deine Gefühle zurückstellen und sofort intervenieren. Ich bemühe mich, gegen einen Feind zu kämpfen, der eine freie Gesellschaft ablehnt und seine eigene versklavte Gesellschaft produzieren will. Ich bin Guerillakämpfer in den Bergen Kurdistans, die als Wiege der Menschheit gelten, und innerhalb dieses Kampfes bin ich gleichzeitig Arzt. In einem Gebiet wie hier in Xakurke ist es wichtig, dass ich meine Aufgabe erfülle. Für mich ist es ein ganz besonderes Gefühl, wenn ich einen Freund oder eine Freundin unter diesen schwierigen Bedingungen behandele und sehe, dass sie glücklich sind. Das gibt mir viel Kraft. In Xakurke wird ein mutiger und selbstloser Kampf gegen die hochentwickelte Technik des Feindes geführt. Diesen Kampf mitzuerleben, gibt dir die Kraft, auf den Beinen zu bleiben und vorbehaltlos daran mitzuwirken.

Wie kommst du als Arzt mit den Bedingungen in den Bergen zurecht? Gibt es ein institutionalisiertes Gesundheitssystem? Wie läuft die Behandlung der Kranken und Verletzten ab?

Ich habe nie darüber nachgedacht, ob es in den Bergen schwer sein könnte. Meine Einstellung zu den Menschen und meine Liebe zur Natur lassen die physischen Schwierigkeiten vergessen. Natürlich ist die Arbeit im Gesundheitswesen in den Bergen ganz anders als in der Stadt. Ein Mediziner muss unter allen Umständen behandeln können. Es gibt immer etwas, das man für einen behandlungsbedürftigen Mensch tun kann. Man muss kreativ sein und die besten Behandlungsmöglichkeiten selbst erschaffen. In der Stadt musst du in einem Notfall erste Hilfe leisten und für den Transport in ein ausgestattetes Krankenhaus sorgen. Dafür gibt es viele Mittel und Wege. Für uns ist es anders. Im offenen Gelände in den Bergen musst du sofort die notwendigen Bedingungen schaffen, damit die Kranken oder Verletzten die bestmögliche Behandlung bekommen können. Du weißt, dass der größte Feind die Zeit und die Bedingungen sind, und in diesem Bewusstsein versuchst du die beste Behandlung zu ermöglichen.

Wir haben ein organisiertes Gesundheitssystem in den Bergen. Aufgrund der vorliegenden Situation haben wir keine festen Standorte, sondern wechseln ständig die Plätze. Wir haben Krankenstationen, die wir den Bedingungen in den Bergen und im Krieg angepasst haben. Für uns ist es eine ständige Aufgabe, gute und sichere Behandlungsmöglichkeiten zu schaffen. Diese Arbeit wird vom Gesundheitskomitee und seinen Einheiten geführt. Wir haben eine Akademie, an der wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln Fortbildungen durchführen, die „Gesundheitsakademie M. Hayri Durmuş“. Es gibt in verschiedenen Gebieten Krankenstationen, damit Kranke und Verletzte möglichst schnell versorgt werden können. Außerdem gibt es mobile Gesundheits- und Erste-Hilfe-Teams. Darüber hinaus sind in den Guerillaeinheiten Freundinnen und Freunde, die wir im Gesundheitswesen fortgebildet haben. Sie leisten erste Hilfe und versuchen, die Betroffenen dorthin zu transportieren, wo eine bessere Behandlung möglich ist. Die Behandlung beginnt meistens schon auf dem Weg, weil es manchmal Tage oder Wochen dauert. In so einer Situation sind wir natürlich nicht nur Mediziner, sondern in erster Linie Guerillakämpfer. Wir kämpfen in den Bergen gegen einen Feind, der über eine hochentwickelte Technik verfügt. Deshalb müssen wir die Haltung von Militanten einnehmen, die sich organisieren können. Es ist eine Frage des Bewusstseins.