Viele offene Fragen im Mordfall von Mêrdîn

Das Entsetzen nach dem Angriff von Mittwochnacht ist groß. Fünf Mitglieder zweier eng miteinander verwandter Familien aus der KRI befanden sich in einem Fahrzeug, das in Mêrdîn in einen Hinterhalt geriet. Alle Insassen wurden mit Kopfschüssen ermordet.

Das Entsetzen nach dem tödlichen Angriff von Mittwochnacht in der nordkurdischen Provinz Mêrdîn (tr. Mardin) ist groß. Mitglieder zweier eng miteinander verwandter Familien befanden sich in einem Fahrzeug mit irakischem Kennzeichen, das am Donnerstag kurz nach Mitternacht auf der Verbindungsstraße zwischen Nisêbîn (Nusaybin) und Qoser (Kızıltepe) in einen Hinterhalt geriet. Drei der Insassen - das Ehepaar Abdullah Salih Mustafa (69) und Çimen Şahin Halid (75) sowie deren Tochter Hindirin Abdullah Salih (39) - waren sofort tot. Wahida Haydar Casim (63) und ihr Sohn Ahmed Celaleddin Ibrahim (45) erlagen in zwei verschiedenen Krankenhäusern ihren schweren Schussverletzungen.

Alle Opfer stammten aus dem Raum Dihok in der Kurdistan-Region Irak (KRI) und hatten sich gemeinsam auf den Weg in die Türkei gemacht. Eine zweite Tochter von Abdullah Salih Mustafa lebt in Samsun an der Schwarzmeerküste, sie sollte besucht werden. Nach Angaben von Angehörigen verbrachte das Paar jedes Jahr mehrere Wochen in der Region, um Zeit mit der weit entfernten Tochter zu verbringen. Wahida Haydar Casim litt unter einer Augenerkrankung und hatte in einer Klinik in Amed (Diyarbakır) einen OP-Termin. Beide ermordeten Männer waren zudem angesehene Imame in der KRI.

Ein letztes Selfie in einem Restaurant in Mêrdîn | NTV

Wie Aufnahmen aus staatlichen und privaten Überwachungskameras zeigen, ist das Fahrzeug der Gruppe bereits frühzeitig auf türkischem Staatsgebiet verfolgt worden. Mindestens vier Männer sollen unmittelbar an der Tat beteiligt gewesen sein, zwei von ihnen nahmen die Verfolgung auf einer Raststätte auf, wo die Opfer zuvor in einem Lokal zu Abend aßen. Auf der Höhe Qesra Serçixan (Durakbaşı) wurde der Wagen dann von den beiden anderen Angreifern in einem Hinterhalt gestoppt. Die Szenen zeigen mit Langwaffen bewaffnete Männer, die die Türen des Fahrzeugs aufreißen und die Insassen mit Kopfschüssen regelrecht hinrichten. Dann flüchten sie mit ihrem Auto.


Zwar nahm die türkische Militärpolizei (Gendarmerie) noch am Donnerstag sechs Verdächtige fest, von denen sich vier weiterhin in Gewahrsam befinden. Der Vorwurf: Sie sollen die fünf Opfer getötet haben, um sie auszurauben. Gegen die These des Raubmordes spricht möglicherweise aber nicht nur, dass die Täter mutmaßlich bereitgestellte Leihwagen benutzten, sondern auch, dass sich der vermeintliche Raubmord in 300 Metern Entfernung zur Gendarmerie-Wache Yeniköy ereignete. Doch dort will man keine Schussgeräusche vernommen haben. Die Polizei traf offenbar erst ein, nachdem sie vom Rettungsdienst verständigt wurde. Den Notruf unter der 112 soll ein Autofahrer abgesetzt haben.

Laut dem örtlichen Staatsanwalt stammen alle Tatverdächtigen aus der Gegend um Nisêbîn. Einer von ihnen hätte in der Vergangenheit für eine der Opferfamilien gearbeitet und sei erst vor Kurzem aus der KRI zurückgekehrt. Im Verhör habe einer der Männer angegeben, den Mord begangen zu haben, um an das Vermögen der Getöteten zu gelangen und seine Schulden begleichen zu können. Die Opfer wurden derweil bereits nach Dihok überführt. An diesem Freitag sollen sie in Şîladizê beigesetzt werden.