Verhaftungen in Iran: Internationale Gemeinschaft muss handeln

Dutzende Menschenrechtsorganisationen und Initiativen der Zivilgesellschaft fordern in einem gemeinsamen Brief die internationale Gemeinschaft auf, dringend Maßnahmen gegen die willkürlichen Verhaftungen von kurdischen Aktivisten im Iran zu ergreifen.

Dutzende Menschenrechtsorganisationen und Initiativen aus der Zivilgesellschaft fordern in einem gemeinsamen Brief dringende Maßnahmen von der internationalen Gemeinschaft gegen die willkürlichen Verhaftungen von kurdischen Zivilist*innen und Aktivist*innen im Iran. In dem von insgesamt 36 lokalen und internationalen Organisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch und Netzwerken von Minderheitengruppen verfassten Appell äußern die Unterzeichnenden ihre Besorgnis über die Risiken schwerwiegender Menschenrechtsrechtsverletzungen, denen die Betroffenen aufgrund der „friedlichen Ausübung grundlegender Rechte“ ausgesetzt sind. Seit Anfang des Jahres wurden mindestens 96 Kurdinnen und Kurden auf Betreiben des iranischen Geheimdienstministeriums und der Revolutionsgarde verhaftet – ohne richterlichen Beschluss. Bis heute weigern sich die Behörden, die Haftgründe zu nennen.

Willkürtliche Verhaftungen, Folter, unfaire Prozesse

Die Islamische Republik Iran missachtet systematisch die Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürger. Vor allem Angehörige ethnischer, religiöser und politischer Minderheiten sind im Iran vielfacher Diskriminierungen ausgesetzt: Immer wieder kommt es zu willkürlichen Verhaftungen, Folter Verurteilungen zu langen Haftstrafen ohne faire Gerichtsprozesse sowie zu Misshandlungen und Hinrichtungen von Andersdenkenden. Auch mit Blick auf die aktuelle Verhaftungswelle wird davon ausgegangen, dass sich das massive Vorgehen der iranischen Behörden nahtlos in die Kette der Unterdrückung jeglicher Opposition einfügt: „Es gibt ernsthafte Bedenken, dass die Verhaftungen auf die friedliche Ausübung der Meinungsfreiheit und freien Meinungsäußerung sowie Vereinigungsfreiheit durch die Personen zurückzuführen sind, einschließlich ihrer Beteiligung an friedlichem zivilgesellschaftlichem Aktivismus und/oder der vermeintlichen Unterstützung der politischen Visionen, die von kurdischen Oppositionsparteien, die sich für die Achtung der Menschenrechte der kurdischen Minderheit im Iran einsetzen, vertreten werden”, heißt es in dem Brief.

Meisten Verhaftungen in Bokan

Aufgrund der in der Vergangenheit dokumentierten Menschenrechtsverletzungen durch die iranischen Behörden befürchten die unterzeichnenden Organisationen routinemäßige Folter an den Verhafteten zur „Erpressung von Geständnissen“, die später in grob unfairen Prozessen als vage und fadenscheinige Anklagepunkte im Zusammenhang mit vermeintlichen Straftaten gegen die nationale Sicherheit auftauchen. Bei den mindestens 96 verhafteten Personen – darunter acht Frauen – handele es sich um politische aktive Menschen in den Bereichen Zivilgesellschaft, Arbeitsrecht, Kultur und Umweltschutz sowie Studierende, Intellektuelle und ehemalige politische Gefangene, die meisten von ihnen zwischen 20 und 30 Jahren. Die Verhaftungen fanden in insgesamt neunzehn Städten in fünf verschiedenen Provinzen statt: Karadsch (2) in der Provinz Alborz; Ciwanro (1), Kirmaşan (2) und Pawe (4) in der Provinz Kirmaşan (Kermanschah); Bane (1), Dîwandere (1), Kellaterzan (3), Merîwan (9), Sine (4), Seqiz (3) und Sawllawa (4) in der Provinz Kurdistan; Teheran (3) in der Provinz Teheran; Bokan (23), Mahabad (10), Nexede (4), Şino (11), Pîranşar (7), Rabat (3), und Ûrmiye (1) in der Provinz West-Aserbaidschan.

Kein Zugang zu Rechtsbeistand, kein Familienkontakt

Der große Teil der Verhafteten wird in Haftzentren und Internierungslagern in Mahabad und Ûrmiye festgehalten. Mit Stand vom 2. Februar sind bisher nur sieben Personen wieder freigelassen worden (in drei Fällen gegen Kaution und in vier Fällen bedingungslos). Die Übrigen befinden sich weiterhin in Haft ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand und ihren Familien. Mindestens 40 Personen sind dem Risiko des gewaltsamen Verschwindenlassen ausgesetzt, ihre Angehörigen werden Opfer von Einschüchterung und Drangsalierung durch Sicherheitskräfte. Die Behörden hätten den Angehörigen der Betroffenen mitgeteilt, dass ihre Haft so lange andauern werde, bis das Ermittlungsverfahren abgeschlossen sei, unterstreicht der Appell.

Jeder Mensch hat das Recht, friedlich für politische Ideen oder Visionen einzutreten

Weiter heißt es: „Wir erinnern daran, dass das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung das Recht einschließt, das von den Behörden vertretene politische Gesellschaftssystem zu kritisieren, und das Recht, friedlich für politische Ideen oder Visionen einzutreten, solange die geäußerten Gedanken keinen Hass befürworten, der eine Aufstachelung zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt darstellt. Die Bestrafung von Personen aufgrund ihrer Meinung ist eine schwerwiegende Verletzung des Rechts auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, das durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt, ANF) geschützt wird, zu dessen Vertragsstaaten der Iran gehört.

Erschreckende Bilanz

Seit Jahrzehnten sind ethnische Minderheiten im Iran, darunter Kurden, Ahwazi-Araber, aserbaidschanische Türken, Belutschen und Turkmenen, einer tief verwurzelten Diskriminierung ausgesetzt, die ihren Zugang zu Bildung, Beschäftigung, angemessenem Wohnraum und politischen Ämtern einschränkt. Chronische Unterinvestitionen in Regionen, die von Minderheiten bevölkert sind, verschlimmerten Armut und Marginalisierung. Trotz wiederholter Aufrufe zur sprachlichen Vielfalt bleibt Persisch die einzige Unterrichtssprache in der Grund- und Sekundarschule.

Nach Angaben kurdischer Menschenrechtsgruppen wurden im Jahr 2020 mehr als 500 Angehörige der kurdischen Minderheit im Iran, darunter auch Menschenrechtsverteidiger, aus politisch motivierten Gründen verhaftet und wegen weit gefasster und vage formulierter Straftaten im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit angeklagt. Mindestens 159 von ihnen wurden anschließend zu Haftstrafen zwischen einem Monat und 17 Jahren verurteilt, vier erhielten die Todesstrafe.

Laut dem UN-Sonderberichterstatter für den Iran stellen kurdische politische Gefangene, die wegen Vergehen gegen die nationale Sicherheit angeklagt sind, (...) eine unverhältnismäßig hohe Zahl derjenigen dar, die die Todesstrafe erhalten haben und hingerichtet werden. Im Jahr 2020 wurden mindestens vier Personen aus der kurdischen Minderheit des Irans nach grob unfairen Prozessen im Zusammenhang mit ihren angeblichen Aktivitäten für die bewaffnete Opposition hingerichtet.

Forderungen an den Iran

Wir sind zutiefst besorgt darüber, dass das Versäumnis, die Verantwortlichen für die Anordnung, Durchführung und Duldung von willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen, Verschwindenlassen, Isolationshaft, Folter und anderen Misshandlungen im Iran zu untersuchen, strafrechtlich zu verfolgen und aus ihren Positionen zu entfernen, zu weit verbreiteten und systematischen Mustern von Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen nach internationalem Recht geführt hat, die mit absoluter Straflosigkeit begangen werden.

Wir, die unterzeichnenden Organisationen für Zivlrecht und Menschenrecht rufen die internationale Gemeinschaft auf, die dokumentierten Bedenken gegenüber den iranischen Behörden dringend zur Sprache zu bringen und sie aufzufordern:

*Lassen Sie sofort und bedingungslos alle willkürlich Inhaftierten frei und beenden Sie die Verhaftungswelle gegen die kurdische Bevölkerung;

*Schützen Sie alle Inhaftierten bis zu ihrer Freilassung vor Folter und anderen Misshandlungen;

*Informieren Sie unverzüglich die Familien über das Schicksal, den Aufenthaltsort und den rechtlichen Status ihrer Angehörigen in staatlichem Gewahrsam und beenden Sie die Praxis des gewaltsamen Verschwindenlassens;

*Stellen Sie sicher, dass Personen, denen die Freiheit entzogen wurde, ihre Rechte auf; Benachrichtigung einer dritten Person über die Inhaftierung, Zugang zu einem Rechtsbeistand, Anfechtung der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung und Aussagenverweigerung gewährt werden, und stellen Sie sicher, dass Aussagen, die unter Verletzung der Schutzvorkehrungen gegen die Misshandlung von Personen in Haft erlangt wurden, im Prozess nicht zulässig sind;

*Führen Sie unabhängige, unparteiische und transparente Untersuchungen von Folter- und anderen Misshandlungsvorwürfen durch und stellen Sie die Verantwortlichen in fairen Verfahren vor Gericht;

*Beenden Sie die Diskriminierung ethnischer und religiöser Minderheiten in Gesetz und Praxis und achten, schützen, fördern und erfüllen Sie die Rechte aller Menschen im Land

*Gewähren Sie einen Aufschub für alle Hinrichtungen mit dem Ziel, die Todesstrafe abzuschaffen.”

Die Unterzeichnenden:

Abdorrahman Boroumand Center for Human Rights in Iran | Ahwaz Human Rights Organization | All Human Rights for All in Iran | Amnesty International | Arseh Sevom | ARTICLE 19 | Association for the Human Rights of the Azerbaijani people in Iran (AHRAZ) | Association of Humanitarian Lawyers | Balochistan Human Rights Group | Baluch Activists Campaign Organization | Ceasefire Centre for Civilian Rights | Centre for Human Rights in Iran | Centre for Supporters of Human Rights | Ensemble Contre la Peine de Mort (ECPM) | European Ahwazi Human Rights Organisation (EAHRO) | Gesellschft für bedrohte Völker | 6Rang (Iranian Lesbian and Transgender Network) | Hengaw Organization for Human Rights | Human Rights Watch | Impact Iran | Iran Human Rights | Iran Human Rights Documentation Center | International Educational Development, Inc. | Iranian Kurdistan Women’s Centre | Justice for Iran | Kurdistan Human Rights-Geneva (KMMK-G) | Kurdistan Human Rights Network (KHRN) | Miaan Group | Minority Rights Group International | OutRight Action International | Siamak Pourzand Foundation | Société pour les peuples menacés, Suisse | Turkmen Human Rights Activists | United for Iran | Unrepresented Nations and Peoples Organization (UNPO) | World Coalition Against the Death Penalty

Der vollständige Appell kann beim Kurdistan Human Rights Network gelesen werden.