Seit inzwischen drei Wochen rollt über die Zivilgesellschaft in Ostkurdistan eine neue Repressionswelle. Wie die Menschenrechtsorganisation Hengaw am Montag meldete, wurden seitdem mindestens 95 Oppositionelle von der iranischen Revolutionsgarde verhaftet. Nur sechs Personen wurden gegen eine Kautionszahlung auf freien Fuß gesetzt. Bei den Betroffenen handelt es sich um politische und zivilrechtliche Aktivistinnen und Aktivisten, Studierende, Medienschaffende, Umweltschützer*innen und Lehrkräfte. Sie alle sind ihren Angehörigen und Rechtsbeiständen zufolge ohne Gerichtsbeschluss verhaftet und in Gefängnisse sowie Internierungslager unter Kontrolle der Revolutionsgarde überstellt worden.
Der Umgang des Regimes in Teheran mit der Zivilgesellschaft und Bewegungen, die sich für die Rechte und Anliegen von ethnischen, religiösen und sexuellen Minderheiten einsetzen, ist weiterhin besorgniserregend. Sowohl sie als auch die Gruppen, für die sie sich engagieren, sind mit einer brutalen Unterdrückungsmaschinerie konfrontiert, weil sie als Gefahr der nationalen Sicherheit und der religiösen Einheit des Landes gelten.
Amineh Kakabaveh: Für das Regime sind alle Terroristen
Die kurdischstämmige unabhängige Abgeordnete des schwedischen Reichstags, Amineh Kakabaveh, geht noch einen Schritt weiter und sagt, die Führung in Iran setze alle Andersdenkenden gleich mit „Terroristen“. Die in Torjan bei Seqiz geborene Politikerin hat den Repressionsschlag Teherans gegen die kurdische Zivilgesellschaft vergangene Woche im Parlament thematisiert und die schwedische Regierung für ihren „milden Umgang“ mit dem Iran kritisiert. „Seit 40 Jahren wird ein sogenannter kritischer Dialog geführt, der völlig erfolglos war. Schweden und die EU leben in der völlig verzerrten Vorstellung, dass gute wirtschaftliche Beziehungen im Laufe der Zeit das Regime dazu bringen würden, seine Haltung zu ändern“, heißt es auch in einer Anfrage der 50-jährigen früheren Komalah-Kämpferin an Außenministerin Ann Linde. Kakabaveh fordert von Schweden, die Verhaftungswelle in Ostkurdistan zu verurteilen und sich für alle verhafteten Personen sowie die politischen Gefangenen einzusetzen.
Regime richtet Waffen gegen eigene Bevölkerung
„Der Iran wird seit über vier Jahrzehnten von einer islamistischen Diktatur regiert. Es ist ein Regime, das die grundlegenden Menschenrechte und Freiheiten nicht achtet und geschlechtsspezifische Apartheid gegen die Frauen des Landes praktiziert. Es unterhält keine friedlichen Beziehungen zu den Nachbarländern, sondern führt blutige Kriege durch Agenten in mehreren Ländern wie Syrien und Jemen. Es ist aber auch ein Regime, das seine Waffen auf seine eigene Bevölkerung richtet“, sagt Kakabaveh. Es könne Monate dauern, bis das Personal staatlicher Einrichtungen seine Gehälter erhält. „Wenn die Arbeiterklasse streikt, werden Werktätige verhaftet und gefoltert. Noch vor einem Jahr fanden Demonstrationen statt, bei denen die Menschen ihre Unzufriedenheit mit dem Regime zum Ausdruck brachten“. Dabei waren mehr als 5.000 Demonstrierende festgenommen und mindestens 25 von ihnen getötet worden. „Auch in den letzten Wochen hat das Regime wieder wahllose Verhaftungen vorgenommen, um Kritik zu beseitigen und seine durch und durch korrupte Ordnung aufrechtzuerhalten. Diese richteten sich gegen die ethnischen Minderheiten des Landes wie Kurden und Belutschen: Frauenaktivistinnen, Lehrkräfte, Studierende, Umweltschützer*innen oder junge Menschen, die nur nach Freiheit dürsten“, so Kakabaveh.
Ignoranz in Europa
Dennoch könnten sich Vertreter*innen des Regimes in Europa frei bewegen und Reden bei den Vereinten Nationen halten, kritisiert die kurdische Politikerin. „Und unsere Außenministerin schüttelt ihnen die Hände. Es ist gut und richtig, dass Schweden den Machtapparat Alexander Lukaschenkos ablehnt und Europa Sanktionen gegen den Diktator wegen der Unterdrückung der Demokratiebewegung in Belarus verhängt. Aber was mit dem Iran? Wann wollen Schweden und Europa aktiv werden gegen das Regime und die dramatische Menschenrechtslage vor Ort“, fragt sich Kakabaveh. Derzeit befinden sich zwei schwedische Staatsangehörige in iranischer Haft, führt die Parlamentarierin weiter aus. Ein Engagement für ihre Freilassung habe es auf Seiten der Regierung in Stockholm bislang nicht gegeben.