Forderung nach politischem Kurswechsel in Innen- und Außenpolitik
Mehr als 1,3 Millionen Kurd:innen leben heute in Deutschland – viele von ihnen sind vor Krieg, Repression und Diskriminierung aus der Türkei, Syrien, dem Iran oder dem Irak geflohen. Doch auch im Exil sehen sich viele weiterhin mit politischer Benachteiligung, pauschaler Kriminalisierung und gesellschaftlicher Ausgrenzung konfrontiert. Vor diesem Hintergrund hat das in Berlin ansässige Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V. (Civaka Azad) gemeinsam mit weiteren Organisationen ein umfassendes Positionspapier veröffentlicht, das Handlungsempfehlungen für die neue Bundesregierung formuliert. Im Mittelpunkt stehen ein Ende der Kriminalisierung kurdischer Strukturen in Deutschland und eine aktive Rolle Berlins im Friedensprozess in Kurdistan.
„Als Sprachrohr der kurdischen Community möchten wir Erwartungen und konkrete Verbesserungsvorschläge benennen, die unsere Lebensrealität und politischen Rechte ernst nehmen,“ heißt es in dem Dokument, das unter anderem zivilgesellschaftlichen Akteur:innen und Abgeordneten zugeleitet wurde.
Innenpolitische Forderungen: Teilhabe statt Generalverdacht
Die Autor:innen fordern eine faire und menschenrechtskonforme Asylpraxis, den Abbau diskriminierender Regelungen und die Stärkung politischer Mitbestimmung für kurdische Migrant:innen. In vielen Fällen erleben kurdische Aktivist:innen, Vereine und Kulturzentren pauschale Stigmatisierung unter Terrorverdacht, insbesondere durch die anhaltende Anwendung des PKK-Verbots und des §129b StGB („Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung“). Dies führe zu einem Klima der Einschüchterung und verhindere demokratisches Engagement, so die Kritik.
Civaka Azad verweist auf Fälle wie die jüngste Festnahme des ehemaligen Ko-Vorsitzenden des kurdischen Europadachverbands KCDK-E, Yüksel Koç, in Bremen als symptomatisch für eine restriktive Haltung der deutschen Innenbehörden gegenüber kurdischen Strukturen, die teilweise offen zivilgesellschaftlich arbeiten, aber dennoch überwacht oder kriminalisiert werden.
Außenpolitische Verantwortung: Berlin soll Vermittlerrolle einnehmen
In der Außenpolitik fordern die kurdischen Organisationen ein umfassendes Umdenken im Umgang mit der kurdischen Frage. Deutschland solle sich nicht länger auf sicherheitspolitische Kooperation mit autoritären Regierungen – etwa der Türkei – beschränken, sondern aktiv zur politischen Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts beitragen.
„Deutschland trägt als Heimatland der größten kurdischen und türkischen Diaspora eine besondere Verantwortung,“ so die Autor:innen. Die Bundesregierung solle sich für Menschenrechte, Friedensgespräche und Dialogformate stark machen und die Listung der PKK sowie das Betätigungsverbot in Deutschland kritisch überprüfen.
Diese Forderung steht im Kontext neuer Entwicklungen: Im Februar hatte Abdullah Öcalan über die Imrali-Delegation der DEM-Partei einen Friedensappell veröffentlicht, der später durch die Selbstauflösungserklärung der PKK auf ihrem 12. Kongress bekräftigt wurde. Während einige europäische Staaten darauf diplomatisch reagierten, setzt Deutschland weiter auf strafrechtliche Maßnahmen gegen mutmaßliche PKK-nahe Akteur:innen.
Gesellschaftliche Integration statt sicherheitsstaatlicher Isolation
Das Positionspapier versteht sich als konstruktiver Beitrag zu einer zukunftsfähigen Migrations-, Sicherheits- und Integrationspolitik, die auf Gleichberechtigung und Teilhabe fußt. In Anlehnung an die pluralistische Realität in Deutschland fordern die Verfasser:innen ein Ende der Sonderbehandlung kurdischer Communities als sicherheitspolitisches Risiko.
„Wir leben seit Jahrzehnten hier. Wenn politische Rechte und gesellschaftliche Anerkennung verweigert werden, ist nicht Integration, sondern Entfremdung die Folge“, so ein Sprecher von Civaka Azad. Die Handlungsempfehlungen formulierten klare Erwartungen an die Bundesregierung – sowohl im Hinblick auf innenpolitische Reformen als auch auf eine verantwortungsbewusste Nahostpolitik. Eine neue Haltung gegenüber der kurdischen Frage, so das Papier, wäre nicht nur ein Beitrag zur Gerechtigkeit, sondern auch zur demokratischen Stabilität in Deutschland selbst.