Proteste gegen Mandatsraub nach Wahl
Das türkische Innenministerium hat die Niederschlagung von Protesten gegen einen Mandatsraub in der kurdischen Provinz Wan (tr. Van) in diesem Frühjahr verteidigt. Polizeieinsätze seien nötig gewesen, da die Leute „ohne Erlaubnis zusammenkamen und protestierten“, hieß es in der Antwort des Ministeriums auf eine Parlamentsanfrage der DEM-Abgeordneten Beritan Güneş Altın. Das gewaltsame Vorgehen der Polizei sei „im Einklang mit den Gesetzen" erfolgt, so das Innenressort weiter.
In Wan war es im April im Nachgang zur Kommunalwahl zu Massenprotesten gekommen, nachdem der Sieg des demokratisch gewählten Oberbürgermeisters Abdullah Zeydan (DEM) annulliert und der zweitplatzierte AKP-Kandidat ins Amt gehievt worden war. Ein Gericht hatte Zeydan, der bei der Kommunalwahl am 31. März 55,5 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, die Wählbarkeit aberkannt. Begründet worden war dies mit einem Einspruch des Justizministeriums gegen einen früheren Gerichtsentscheid, der die Bürgerrechte des fünf Jahre lang unter Terrorvorwürfen inhaftierten Politikers wiederhergestellt hatte. Nach den Protesten ruderte Ankara zurück, Zeydan erhielt seine Ernennungsurkunde.
Die Bevölkerung von Wan hatte in dem Vorgehen der Regierung einen „Wahlputsch“ gesehen und war damals tagelang auf die Straße gegangen. Die Polizei reagierte mit massiver Gewalt und setzte gegen die Demonstrierenden neben Wasserwerfern und Tränengas auch Gummigeschosse ein. Insbesondere bei zwei Protestveranstaltungen am 2. und 3. April war die Polizei besonders brutal aufgetreten. Etwa 400 Menschen waren laut Recherchen der Menschenrechtskommission der örtlichen Anwaltskammer verletzt worden; viele erlitten Knochenbrüche, rund 350 Personen wurden festgenommen – darunter auch Minderjährige – und Dutzende in der Folge verhaftet. Auch in anderen Provinzen war es nach dem Mandatsraub in Wan zu Protesten und Polizeigewalt gekommen. Laut dem Innenministerium sei bei zwölf dieser Demonstrationen ein „gewaltsames Vorgehen“ der Polizei gerechtfertigt gewesen.
Beritan Güneş Altın kritisierte die Antwort des Ministeriums. „Die AKP hat die Wahl in Kurdistan verloren und daher versucht, den Willen des Volkes usurpieren“, erklärte die Parlamentsabgeordnete am Donnerstag und verurteilte die Rechtfertigung von Polizeigewalt. Dies sei Ausdruck des Mangels an Respekt gegenüber Menschen- und Bürgerrechten. „Die Wählerinnen und Wähler haben lediglich ihren politischen Willen verteidigt, und nur allein deshalb wurden sie zum Ziel von Polizeigewalt“, so Güneş Altın. Totale Willkür und maßlose Brutalität gegenüber Oppositionellen, die vom Innenminister als „legale Gewaltanwendung“ verharmlost werde, „ist eine Seite des Staatsapparats, der in Kurdistan bei jeder Person nur zu gut und lange bekannt ist“, sagte die DEM-Politikerin mit Blick auf die Menschenrechtslage in den kurdischen Gebieten des Landes.