Staat hatte nie Interesse, gefangene Soldaten am Leben zu lassen

Einige der Soldaten und Polizisten, die beim türkischen Luftangriff auf Gare getötet wurden, haben bereits 2018 gewarnt, dass der türkische Staat ihr Leben missachte und in Gefahr bringe.

Die türkische Armee hat ein Gefangenenlager in Gare, in dem sich von der Guerilla gefangengenommene Soldaten, Polizisten und MIT-Agenten befanden, bombardiert und dreizehn der Insassen getötet. Der türkische Staat und seine Medien beschuldigten die PKK, die Gefangenen erschossen zu haben. Die Kommandantur der Guerilla erklärte, die türkische Armee habe das Gefangenenlager drei Tage lang schwer bombardiert. Der Armee müsse vollkommen klar gewesen sein, dass niemand das Lager lebend verlassen würde. Daher sei dies keine „Befreiungsoperation, sondern eine Vernichtungsoperation“ gewesen. Der türkische Staat versucht nun, sein eigenes Kriegsverbrechen der Guerilla unterzuschieben und so seine Niederlage in Gare zu verbergen. Er hatte zuvor die Bemühungen von Menschenrechtsorganisationen und Angehörigen zur Freilassung der Gefangenen ignoriert und versucht nun die Angehörigen, die er selbst im Stich gelassen hat, zu benutzen. Selbst die gefangenen Agenten des türkischen Staats hatten mehrere verzweifelte Appelle an die türkische Regierung gerichtet.

So sprachen neun gefangene Soldaten am 7. Juni 2018 mit ANF über ihren Wunsch nach einer friedlichen Lösung und kritisierten den Staat für seine Ignoranz.

Niemand kümmert sich um uns“


Der Soldat Sedat Sorgun erklärte damals: „Ich komme aus Erzurum, ich leistete meinen Wehrdienst im F-Typ-GefängnisVan ab. Am 13. August wurde ich auf dem Weg in den Urlaub von PKK-Guerillakämpfern gefangen genommen. Ich bin seit etwa drei Jahren hier. Wir sind im Moment gesund. Es gibt kein großes Problem. Wir wissen, dass niemand uns gesucht hat oder nach uns gefragt hat. Wir wissen, dass niemand, Oppositionsparteien, Regierung oder türkische Armee nach uns gesucht oder gefragt hat. Wir wissen, dass sich niemand um uns kümmert. Am 24. Juni sind Wahlen in der Türkei. Viele Kandidaten konkurrieren für das Präsidentenamt und als Abgeordnete. Wir hören alle möglichen Erklärungen. Das, was wir über das Radio hören, zeigt das. Sie verhalten sich so, als ob es uns nicht gäbe. Unsere Situation hat niemand auf der Tagesordnung. Welches Problem wurde bisher durch Waffengewalt gelöst? Wie soll die kurdische Frage so gelöst werden? Jetzt, da wir uns in einer Wahlperiode befinden, hoffen wir, dass diese Bilder sie erreichen. Ob es die Opposition ist, ob es die neuen Parlamentskandidaten sind, wir denken, sie werden sich angesichts der Bilder fragen, was geschehen soll. Sie müssen für uns eintreten.

Die Parteien müssen etwas unternehmen“


Der Soldat Ümit Gıcır sagte: „Ich komme aus Balikesir. Am 21. September 2016 wurde ich bei der PKK-Straßenkontrolle zwischen Hakkari-Çukurca gefangen genommen. Ich arbeite bei der Militärpolizei des Bezirks Çukurca. Ich war erst vor zwei Monaten dort eingesetzt worden und gerade erst in Çukurca angekommen.

Wir wollen, dass etwas für uns getan wird. Wir erwarten, dass nach zwei Jahren von Politikern, Nichtregierungsorganisationen, Regierungsbeamten etwas für uns getan wird. Wir haben keine Möglichkeit, wir tun alles, was wir können.

Wir erwarten, dass jeder, von welcher politischen Ausrichtung auch immer, wer auch immer in der Opposition sein mag und etwas tun kann, Menschenrechtsvereine oder zivilgesellschaftliche Organisationen, alle müssen etwas unternehmen. Wir erwarten, dass etwas für uns von der Regierung, der CHP und der HDP und allen sonst getan wird. Wir erwarten auch von unseren Familien, dass sie etwas unternehmen. Wir wollen, dass sie wissen und sehen, dass es uns gut geht.

Ich erwarten jede Hilfe“


Der Unteroffizier Semih Özbey erklärte: „Ich komme aus Malatya. Am 17. September 2015 wurde ich im Urlaub auf dem Weg von Tunceli nach Malatya gefangen genommen. Ich ersuche jeden um Hilfe, der etwas tun kann. Ich bin seit drei Jahren hier. Ich weiß nicht, ob irgendetwas versucht wird, aber ich erwarte, dass alles unternommen wird, was möglich ist. Ob Menschenrechtsvereine oder andere NGOs, sie müssen tun, was sie können. Sie sollen auf jeden Fall um uns kämpfen.“

Warum wird nichts getan?“


Der Soldat Adil Kabaklı sagte: „Ich wurde in Osmaniye geboren. Ich wurde in Ankara-Etimesgut ausgebildet. Auf dem Weg zu meiner Spezialeinheit wurde ich von der PKK auf der Tunceli-Route gefangen genommen. Ich bin seit etwa drei Jahren hier. Bisher ist für uns nichts geschehen und auf dem Radiosender, den wir seit drei Jahren hören, ist nichts von uns zu hören. Wir werden nicht erwähnt. Unsere Erwartung liegt bei unserem Staat. Wir erwarten von jedem etwas, aber niemand tut etwas. AKP, CHP, egal welche politische Partei, wir sprechen sie alle von hier aus an. Warum wird nichts für uns getan?“

Sie nehmen nicht einmal unsere Namen in den Mund“


Der Soldat Müslüm Altıntaş sagte: „Ich stamme aus Helfeti in Şanlıurfa. Am 5. August 2015 diente ich im Militär. Ich bin Infanterist. Ich wurde am 2. Oktober 2015 in Tunceli gefangen genommen. Seit dem Juni 2018 befinde ich mich in den Händen der Organisation. Ich appelliere an die Regierung und den Staat. Wir wollen, dass etwas für uns und unsere Familien getan wird. Es gibt so viele Abgeordnete, Politiker, sie können nichts für uns tun. Kemal Kılıçdaroğlu marschierte für Gerechtigkeit, aber er kann oder will nichts für uns tun. Die Regierung muss jetzt etwas für uns unternehmen. Haben sie uns denn die Staatsbürgerschaft entzogen? Sie nehmen nicht einmal unsere Namen in den Mund.“

Wir haben rein gar nichts gehört“


Der Unteroffizier Mevlüt Kahveci sagte: „Ich komme aus Eskişehir. Am 21. September 2016 wurde ich auf dem Weg von Çukurca nach Hakkari gefangen genommen. Ich war gerade auf dem Weg, mich für die Prüfung anzumelden. Ich bin seit etwa zweieinhalb Jahren hier. Es ist für uns schwer, wir haben nirgendwo etwas gehört. Jetzt ist Wahlzeit, sie haben aber nichts über uns gesagt, niemand, ob aus der Opposition oder der Vatan Partisi, der MHP oder der AKP."

Sind wir nicht ihre Soldaten, ihre Polizisten, ihre Beamten?“


Der Polizist Sedat Yabalak erklärte: „Ich komme aus Mersin, ich bin Polizist. Ich diente in Urfa. Am 28. Juli 2015 wurde ich auf dem Weg von Erzurum nach Urfa auf der Straße zwischen Diyarbakır und Lice gefangen genommen. Von da an bis zum heutigen Tag – dem 3. Juni 2018 – bin ich in den Händen der PKK.

Ich wende mich hier an den Staat. Er soll etwas für uns machen, bisher haben wir nichts gehört. Ich frage mich, ob wir hochrangige Kommandeure, Gouverneure oder sehr reich sein müssen, damit sie etwas für uns unternehmen. Was sollen wir tun und warum sind wir hier? Sind wir nicht ihre Soldaten, ihre Polizisten, ihre Regierungsangestellten?“

Sie sollen uns nicht missachten“


Der Soldat Süleyman Sungur erklärte: „Ich komme aus Siirt. Ich war Soldat in Bingöl. Ich wurde auf der Straße zwischen Diyarbakır und Lice bei einer Straßenkontrolle von der PKK festgenommen. Ich bin seit drei Jahren gefangen. Ich habe nichts von meinen Eltern oder sonst wem gehört. Ob CHP, MHP, AKP oder HDP, wir erwarten etwas von diesen politischen Parteien. Viele Feiertage sind vergangen, ohne dass wir etwas von unseren Eltern gehört haben. Staat und Parteien sollen uns nicht missachten, wir haben Erwartungen an sie. Dieser Krieg findet seit 40 Jahren statt, aber es ist nichts erreicht worden, nur Menschen sind gestorben. Wir wollen Frieden, wir wollen, dass die Menschen nicht mehr sterben, wir wollen mit unseren Familien wieder vereint werden.“

Warum will der Staat uns nicht?“


Der Unteroffizier Hüseyin Sarı sagte: „Ich komme aus Maraş. Ich war in Kars-Sarıkamış als Unteroffizier stationiert. Am 13. August 2015 wurde ich auf dem Weg von Kars-Sarıkamış nach Maraş verhaftet. Ich hatte am 16. August 2015 geheiratet. Auf dem Papier bin ich seit drei Jahren verheiratet, aber meine Frau und ich hatten noch keine Hochzeitsfeier, wir sind seit drei Jahren getrennt. Ich weiß nicht, wie es meiner Familie und meiner Frau jetzt geht. Niemand ist in den vergangenen Jahren für uns eingetreten oder hat unsere Freilassung gefordert. Jetzt ist Juni 2018, es ist so viel Zeit vergangen, wir wissen nicht, ob irgendwelche Initiativen für uns unternommen wurden oder nicht. Wir haben nichts in dieser Richtung gehört.

Wir wissen nicht, was bei den Wahlen herauskommt. Werden wir freigelassen oder nicht? Keine politische Partei ist für uns eingetreten. Wir haben den Ramadan vor uns, dies wird der sechste Feiertag sein, den wir weit weg von unseren Familien verbringen müssen. Ich wünsche meiner Familie alles Gute zum Ramadan, und ich hoffe, dass wir wieder zusammenkommen.“

Die HPG hatten gewarnt: „Für das faschistische Regime besitzt das menschliche Leben keinen Wert“

Einer der HPG-Kommandanten, Mahir Deniz, hatte am 17. September 2019 in einer Erklärung gegenüber ANF gewarnt, dass der Staat nichts für die Gefangenen unternehme und versuche, ihren Aufenthaltsort herauszufinden, um sie durch einen Luftangriff zu töten. Der Kommandant erklärte: „Aber trotz alledem tun der türkische Staat und die Öffentlichkeit so, als gäbe es diese Polizisten, diese Soldaten und MIT-Leute nicht, sie ignorieren sie. Niemand fragt nach ihnen.“ Er fuhr fort: „Der türkische Staat hat in der Vergangenheit sogar mehrfach versucht, ihre Position zu lokalisieren, um sie bei gezielten Luftangriffen zu töten. Die Absicht dahinter liegt auf der Hand. Die Regierung will propagieren, dass die PKK für den Tod dieser Männer verantwortlich ist. Auch wenn es die eigenen Leute sind, für das faschistische Regime besitzt das menschliche Leben keinen Wert. Nur die Familien der Betroffenen interessieren sich für das Schicksal ihrer Angehörigen.“ Diese Haltung des türkischen Regimes wurde bereits 2008 deutlich, als die Regierung zu acht in Oremar von der Guerilla gefangengenommenen Soldaten erklärte, es wäre besser, „sie wären gestorben“.

Die Familien sollten sich an uns und den Staat wenden“

An die Familien gerichtet erklärte der Kommandant Mahir Deniz damals: „Die Familien sollten sich an uns und den Staat wenden. Das, was das AKP/MHP-Regime derzeit mit diesen Familien tut, ist sie für seine eigenen Interessen zu missbrauchen. So wie ihre Kinder bereits ausgenutzt und in den Krieg getrieben wurden, so sollen sie jetzt getötet werden. Sollte ihnen etwas zustoßen, ist es der Staat, bei dem die Verantwortung dafür liegt. Die Angehörigen der Soldaten und Polizisten sollten die Wahrheit erkennen und sich nicht zum Werkzeug dieser schmutzigen Politik machen lassen.“

Briefe an den IHD übergeben

Anlässlich eines Festtages wurden über den Menschenrechtsverein IHD Briefe der Gefangenen an die Familien übermittelt. Immer wieder fanden Verhandlungen und Lösungen von Gefangennahmen durch die Guerilla über den IHD statt. So konnten aufgrund der Bemühungen des IHD zwanzig Zollbeamte am 8. September 2015 in Südkurdistan an den Menschenrechtsverein übergeben und in die Türkei gebracht werden. Immer wieder hatte der Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins Öztürk Türkdoğan betont, dass der IHD auch im Falle der gefangenen Soldaten tätig werden könne.

Dutzende Pressekonferenzen und Vermittlungsversuche

Türkdoğan berichtet, dass der Verein bisher viele Pressekonferenzen mit den Familien von Soldaten und Polizei bisher abgehalten und Treffen mit Staatsbeamten in diesem Sinne durchgeführt habe. Es sei aber trotz Gesprächen der Familien mit dem Ministerpräsidenten und auf Ministerebene nichts unternommen worden. Türkdoğan hat unzählige Initiativen in diesem Sinne gestartet und forderte, dass alle etwas unternehmen müssten, um die Freilassung der gefangenen Soldaten und Polizisten zu garantieren. Er sagte: „Unabhängig vom politischen Umfeld kommt es uns darauf an, dass diese Menschen sicher an ihre Familien übergeben werden. Wir erklären, dass wir bereit sind, jeden Versuch zu unternehmen, um ihre Freilassung zu erwirken.“ Türkdoğan hatte versucht, sich in diesem Sinne auch mit dem Innenministerium zu treffen, der IHD wurde jedoch ignoriert.

Sprecht über die 13 Gefangenen“

Türkdoğan kritisierte auch das Schweigen der Öffentlichkeit in der Türkei zu dieser Frage und erklärte: „Ist der türkischen Öffentlichkeit nicht bekannt, dass 13 Bürger in Gefangenschaft sind? Sprecht über ihre Lage, seit vier Jahren konnten sie ihre Familien nicht sehen.“

Sollen sie denn sterben?“

Auf der Pressekonferenz sprach auch der Vater des Gefangenen Müslüm Altıntaş: „Ich zog meinen kleinen Sohn auf und schickte ihn zur Armee. Es ist vier Jahre her, das ist eine Sünde. Wenn ich das der Wand sagen würde, würde sie verstehen, aber die, die uns gegenüberstehen, hören es nicht. Ich wende mich an die Regierung, was wollt ihr denn? Diese Leute haben eure Soldaten seit vier Jahren in Gefangenschaft und ihr erklärt, ihr seid nicht bereit zu Verhandlungen. Sollten sie sterben? Danach werden sie eine offizielle Zeremonie abhalten und ihnen eine Medaille übertragen. Lasst sie gehen, wir sind keine Kinder.“