Während der türkische Staat weiterhin unter der Bezeichnung „Sicherheitszone“ mit einer Besatzung Nord- und Ostsyriens droht, wird morgen eine Abordnung von US-Militärs zu Gesprächen in der Türkei erwartet. Bei dem Treffen sollen die Lösungspläne der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien und die Besatzungspläne des türkischen Staates behandelt werden.
Am 22. Juli hat James Jeffrey als US-Sondergesandter für Syrien in Ankara Gespräche mit türkischen Politikern geführt. Zeitgleich traf der Kommandeur der US-Streitkräfte (CENTCOM) Kenneth McKenzie in Ayn Issa mit dem Generalkommandanten der QSD, Mazlum Abdi, und Vertreter*innen der autonomen Selbstverwaltung zusammen.
Zwei verschiedene Pläne
Die Selbstverwaltung schlägt eine fünf Kilometer ins Landesinnere reichende Zone unter Auslassung der Städte im Grenzgebiet vor. Die Türkei besteht auf einem Gebiet, das 30 bis 35 Kilometer weit reichen soll. Nach den Gesprächen mit dem US-Gesandten Jeffrey wiesen Vertreter des türkischen Staates die Vorschläge als unzureichend zurück und drohten mit Krieg.
Erdoğan: Zerschmettern! – Bahçeli: Niederbrennen!
Während der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu die US-Pläne als unbefriedigend bezeichnete, erklärte Staatspräsident Erdoğan zu den Verhandlungen über eine Sicherheitszone: „Was auch immer dabei herauskommt, wir sind entschlossen, den Terrorkorridor im Osten des Euphrat zu zerschmettern. Dafür brauchen wir keine Erlaubnis.“
Sein Koalitionspartner Devlet Bahçeli (MHP) sagte: „Nordsyrien muss in Brand gesetzt werden, ihnen muss die Stärke der Türken gezeigt werden.“
Erklärungen von James Jeffrey
Jeffrey besuchte anschließend europäische Staaten aus der Anti-IS-Koalition. Nach seiner Rückkehr nach Washington erklärte er, dass mit der Türkei keine Einigung über eine Sicherheitszone erzielt werden konnte. Auf einer Pressekonferenz im US-Außenministerium sagte er, dass die USA an ihr Versprechen gebunden sind, keinen Angriff auf die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) zuzulassen. Er antwortete auf die Frage, ob die Garantie der USA für die QSD weiterbestehe: „Wir sind unserem Wort verpflichtet, dass diejenigen, die an unserer Seite kämpfen, von niemandem angegriffen werden. Das schließt die Türkei ein.“
Morgen Gespräche in Ankara
Die zweite Gesprächsrunde über die geplante Sicherheitszone findet morgen in der Türkei statt. Eine militärische Abordnung der USA wird mit türkischen Vertretern über die „Grenzsicherheit“ sprechen. Unterdessen dauern die Militärbewegungen der Türkei insbesondere an der Grenze zu Şêxler, Kobanê, Girê Spî und Serêkaniyê an. Die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien hat ihren Schwerpunkt auf diplomatische Aktivitäten gelegt. Die Bevölkerung und die militärischen Kräfte in der Region bereiten sich weiter auf eine Invasion der Türkei vor.
Neoosmanische Träume von Efrîn bis Kerkûk
Die Türkei strebt mit ihrem Besatzungsplan eine Neuauflage des Nationalpakts Misak-i Milli an. Bisher hat der türkische Staat Dscharablus, Azaz, al-Bab, Idlib und Efrîn besetzt, jetzt will er von Minbic aus die Gebiete Şêxler, Kobanê, Girê Spî, Serêkaniyê, Dirbêsiyê, Amûdê, Qamişlo und Dêrîk einnehmen, um von dort aus Kerkûk und Mosul zu erreichen.
Schritt für eine politische Lösung
Die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien erklärt bei jeder Gelegenheit, keinen Krieg zu wollen. Der von ihr vorgelegte Plan gilt als ein Schritt, der für eine politische Lösung gesetzt wurde. Wie Aldar Xelîl (TEV-DEM) gegenüber ANF erklärte, ist der Schwerpunkt der Arbeit auf diplomatische Initiativen gelegt worden. Dieses Ziel verfolgt auch der vorgelegte Plan, den Xelîl so zusammenfasst:
„Die Sicherheitszone kann bis zu fünf Kilometer ins Landesinnere reichen. Städte sind davon ausgenommen. Das Gebiet kann unter der Beobachtung der internationalen Koalition oder den UN stehen. Die Sicherheit in dem Gebiet obliegt nicht den YPG/YPJ und QSD, sondern Kräften der lokalen Räte. Die Kräfte der internationalen Koalition können in dem Gebiet patrouillieren. Die Präsenz türkischer Militärs wird ausgeschlossen, zivile Vertreter sind zusammen mit der Koalition denkbar.“
Türkei will internationalen Verkehrsweg einnehmen
Die Türkei besteht dagegen auf einer 30 bis 35 Kilometer ins Landesinnere reichenden „Sicherheitszone“. Ungefähr 30 Kilometer entfernt von der Grenze verläuft ein internationaler Verkehrsweg (Rotko), der von Südkurdistan bis nach Aleppo führt. Von dort aus bestehen Verbindungsstraßen nach Damaskus und in die arabischen Länder. Mit der Einnahme dieser Straße, die eine wichtige Handelsroute darstellt, würde die Türkei ihren neoosmanischen Träumen näherkommen. Im zweiten oder dritten Schritt des türkischen Besatzungsplans ist vorgesehen, Erdöl aus Kerkûk und Deir ez-Zor ans Mittelmeer zu transportieren.
Erstes Ziel ist Girê Spî
Das erste Besatzungsziel der Türkei ist Girê Spî (Tall Abyad). Von dort aus soll Ain Issa erreicht werden, wo die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien ihren Sitz hat. Der türkische Staat rechnet sich aus, dass durch den Fall von Ain Issa der Weg nach Raqqa geöffnet würde. Mit dieser Offensive soll als weiterer Schritt der Besatzung die Verbindung zwischen Kobanê, Cizîrê, Raqqa, Tabqa, Minbic und Deir ez-Zor gekappt werden.
Ausgedehntes Kriegsgebiet
Die Selbstverteidigungskräfte und die Bevölkerung in Nordostsyrien trifft umfangreiche Vorbereitungen, um einem türkischen Angriff langfristig begegnen zu können. Mazlum Abdi, der Kommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), hat in einer früheren Erklärung darauf hingewiesen, dass sich die Kampfhandlungen bei einem möglichen Angriff der Türkei nicht auf das angegriffene Gebiet beschränken werden. Der Krieg werde sich in diesem Fall auf ein Gebiet von 600 Kilometer Länge ausweiten.
Auf die Frage, inwieweit die Bevölkerung gegen eine türkische Invasion Widerstand leisten wird, antwortete Aldar Xelîl, dass die Menschen in der Region bereits seit Beginn des Syrien-Kriegs Widerstand leisten und diese Haltung beibehalten werden. „Diese Menschen haben bereits zu viele Kriege erlebt. Um sie vor einem weiteren Krieg zu bewahren, setzen wir vorrangig auf diplomatische Arbeit“, erklärte er. „Sollte es jedoch zu einem Angriff kommen, wird die Bevölkerung Widerstand leisten. Sie bereitet sich darauf vor. Zurzeit beobachten wir in der demokratischen Öffentlichkeit sowie in den vier Teilen Kurdistans und in der im Ausland lebenden Bevölkerung eine hohe Aufmerksamkeit für das Thema. Die Menschen werden sich gegen eine Besatzung zur Wehr setzen.“