Prügel-Polizisten nach Mordversuch zurück im Dienst

Wegen Foltervorwürfen an einem kurdischen Jugendlichen aus Amed verhaftete Polizeibeamte sind wieder zurück im Dienst. Entgegen der Annahme der Erstinstanz bestehe kein Verdacht der physischen Folter an dem 14-Jährigen, entschied ein Gericht.

Drei wegen Foltervorwürfen an einem kurdischen Jugendlichen vor drei Monaten in Amed (tr. Diyarbakır) verhaftete Polizeibeamte sind wieder zurück im Dienst. Die 1. Große Strafkammer Diyarbakır gab am Freitag der Berufung der Prügel-Polizisten statt und ordnete nebst der Entlassung aus der Untersuchungshaft auch die Aufhebung ihrer Suspendierungen an, die die Erstinstanz verhängt hatte. Entgegen der Annahme des Landgerichts in Licê bestehe kein Verdacht der physischen Folter durch die Beamten, hieß es zur Begründung. Die Rechtsanwaltskammer Diyarbakır zeigte sich entsetzt über die Entscheidung des Gerichts und kündigte juristische Schritte an. Es liege der Straftatbestand des versuchten Mordes in Verbindung mit gefährlicher Körperverletzung vor, so die Kammer.

Was war geschehen? Der 14-jährige Y.D. hatte sich am Abend des 21. März auf dem Heimweg in Licê befunden, als er von einer Gruppe Polizeibeamter verschleppt wurde. Zuvor hatte er sich in der Provinzhauptstadt Amed an einer großen Feier anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes Newroz beteiligt. Abgepasst wurde er auf der Strecke zu seinem elterlichen Haus, den zehnjährigen Freund, der den Jugendlichen begleitete, ließen die Beamten in Ruhe. Y.D. wurde in ein Einsatzfahrzeug verfrachtet und in ein abgelegenes Gebiet am Rande einer Dorfstraße gebracht. Dort wurde er schwer misshandelt. Den Schilderungen zufolge haben die Polizisten den Jungen unter anderem mit Gewehrkolben geschlagen, auch ins Gesicht und auf den Kopf. Außerdem sei er aufgefordert worden, Kurden zu beschimpfen und zu sagen, er sei Türke. Weil er dies nicht tat, sei er angehalten worden, bis zum nächsten Morgen die türkische Nationalhymne auswendig zu lernen. Sollte er auch dies verweigern, würde man ihm „in den Kopf schießen“.

Nach der Tortur wurde das Kind in gefesseltem Zustand in ein sumpfiges Gelände unweit eines Baches geworfen, der durch das Zentrum von Licê fließt. Sein Mund wurde mit Klebeband zugeklebt. Ein Anwohner, der sich in einer nahegelegenen Scheune nach seiner Tierherde umsehen wollte, vernahm das Wimmern des Kindes und brachte es sofort in ein Krankenhaus. Die Erstuntersuchung von Y.D. hatte im staatlichen Krankenhaus von Licê stattgefunden, weil jedoch die Gefahr bestand, dass er sein rechtes Auge infolge der der schweren Misshandlungen verlieren könnte, war er an die medizinische Fakultät der Dicle-Universität in Amed überwiesen worden.

Den Fall öffentlich gemacht hatte die kurdische Nachrichtenagentur Mezopotamya. Im Zuge der Berichterstattung und öffentlicher Proteste leitete die Staatsanwaltschaft Lice ein Ermittlungsverfahren ein und ließ die beteiligten Polizisten fünf Tage nach dem Übergriff festnehmen. Dabei handelt es sich um einen Polizeikommissar der Bezirkswache in Licê und vier einfache Polizeibeamte – drei von ihnen waren als Einsatzkräfte für die Newroz-Feier aus Ankara nach Amed geschickt worden: İsmail Akkuş, Emre Özcan und Gökhan Bay. Gegen sie hatte das Landgericht Untersuchungshaft verhängt, der Polizeikommissar Aykut Oral und der Beamte Hayrettin Çakmak erhielten lediglich Meldeauflagen. Offen ist noch, was aus dem internen Disziplinarverfahren gegen die Beamten wird.