Vor elf Tagen ist der kurdische Politiker Ahmet Türk (HDP) vom türkischen Innenministerium von seinem Posten als Oberbürgermeister der Provinzhauptstadt Mêrdîn (Mardin) suspendiert worden. Wie seine Parteikolleg*innen Bedia Özgökçe Ertan in Wan (Van) und Adnan Selçuk Mızraklı in Amed (Diyarbakir) ist der 77-Jährige durch einen staatlichen Zwangsverwalter ersetzt worden. Die Proteste gegen diesen Putsch gegen den Wählerwillen reißen nicht ab.
Am elften Tag in Folge haben sich HDP-Politiker*innen zu einer „Widerstandswache“ im Stadtzentrum eingefunden. Die Bevölkerung wird von einer Polizeiblockade an der Teilnahme abgehalten, aber aus Tausenden vorbeifahrenden Autos wird den Aktivistinnen und Aktivisten Unterstützung signalisiert. „Die Repression kann uns nicht einschüchtern!“ und „Wir fürchten uns nicht, wir schweigen nicht, wir gehorchen nicht!“, rufen die Menschen bei der Protestaktion.
Wirtschaftskrise, Frauenmorde, Militäroperationen
Der HDP-Abgeordnete Necdet Ipekyüz sagte in einem Redebeitrag, den die Polizei durch Ansagen über ein Megafon zu übertönen versuchte: „Nicht nur hier, auch in Amed und Wan wird Widerstand geleistet. In vielen Städten der Türkei finden Protestaktionen statt. Wir bringen unsere Wut auf äußerst demokratische Weise zum Ausdruck. Der Zustand dieses Landes lässt den Menschen keine Luft zum Atmen mehr. Ich spreche von der Wirtschaftskrise, den Frauenmorden und der falschen Politik jenseits der Grenzen. Um die Bevölkerung einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, sind erneut Zwangsverwalter eingesetzt worden.“
Die Doppelspitze als größte Errungenschaft
Einer der Vorwürfe, mit denen der türkische Staat die Absetzung der mit großem Stimmenvorsprung gewählten HDP-Bürgermeister begründet, ist das System der Doppelspitze. Wie in allen anderen Parteigremien besetzt die HDP auch das Bürgermeisteramt mit jeweils einer Frau und einem Mann. Der HDP-Abgeordnete Ipekyüz erklärte dazu: „Die Doppelspitze ist unserer Satzung verankert. Sie ist eine unserer größten Errungenschaften. Der Ko-Vorsitz ist beispielhaft für die ganze Welt. Deshalb werden wir weiter Widerstand leisten und nicht schweigen.“
Ein weiterer Vorwurf lautet, dass aus den Stadtverwaltungen Gelder an die kurdische Befreiungsbewegung geflossen sind. Der Istanbuler HDP-Abgeordnete Ahmet Şık widersprach dieser Anschuldigung und forderte die AKP auf, Rechenschaft über die Ausgaben der von der Regierungspartei geführten Rathäuser abzulegen. Gelder in Millionenhöhe seien an religiöse Vereine, Stiftungen und Orden abgeführt worden.
Nach den Redebeiträgen fand eine kurze Demonstration statt, die mit Sprechchören und Beifall abgeschlossen wurde.