Immer wenn der türkische Staat in Bedrängnis gerät, versucht er, die südkurdische Regierungspartei PDK für seine Interessen einzuspannen. Das ist im Moment der Fall in den südkurdischen Guerillagebieten, insbesondere in den Regionen Heftanîn und Metîna.
Aufgrund der massiven Schwierigkeiten durch den Widerstand der Guerilla versucht die türkische Regierung, die PDK (Demokratische Partei Kurdistans), die YNK (Patriotische Union Kurdistans) und das irakische Militär dazu zu bringen, Teile der Region zu besetzen und dadurch eine Frontstellung gegen die Guerilla zu schaffen.
Quellen vor Ort berichten davon, dass zur Vorbereitung von Provokationen eigens Serbest Lezgin, Verantwortlicher für den Peschmergaabzug vor dem Angriff des „Islamischen Staat” (IS) auf Şengal, und Aziz Weysi, Kommandant der Zerevanî-Peschmerga, eingesetzt wurden. Am 15. Oktober 2020 trafen sich Şêx Elo, einer der Peschmerga-Kommandanten der PDK in Duhok, Serbest Lezgin, Aziz Weysi und ein Verantwortlicher des südkurdischen Geheimdienstes mit dem Decknamen Brûsk mit einer militärischen Delegation des türkischen Staates, an der auch Vertreter des türkischen Geheimdienstes MIT beteiligt war. Der Konvoi mit etwa 30 Fahrzeugen fuhr an diesem Tag gegen 13.00 Uhr nach Kanî Masî. Das Treffen soll in der Basis der irakischen Grenzwache stattgefunden haben. Als Ergebnis dieses Treffens sollen Kräfte der irakischen Armee zwischen Kanî Masî und Zaxo aufgestellt werden und Geheimdienstarbeit für die türkischen Truppen leisten. Auf diese Weise soll auch die irakische Armee mit in den Konflikt gezogen werden.
Zerevanî-Peschmerga: Fußtruppen der PDK
Bei den Zerevanî-Peschmerga handelt es sich um eine militarisierte Polizeitruppe, die von der PDK aufgebaut wurde und vom PDK-kontrollierten Innenministerium befehligt wird. Die Zerevanî-Peschmerga sind berüchtigt für ihre Loyalität zum Barzanî-Clan und der PDK.
Ziel: Krieg zwischen Peschmerga und Guerilla
Der Vertreter des PDK-Geheimdienstes Parastin soll nach dem Treffen die Behauptung verbreitet haben, dass die Guerilla die Peschmerga angreifen werde. Die Peschmerga-Kämpfer sollen damit zum Kampf gegen die Guerilla motiviert werden. Die PDK verteilte daraufhin ihre Truppen im Gebiet um Zaxo und versucht nun, große Peschmerga-Verbände in Heftanîn und Metîna zusammenzuziehen. Vieles deutet darauf hin, dass es in den nächsten Tagen Angriffe von Seiten der Peschmerga auf die Guerilla oder andere Provokationen geben wird, um solche Angriffe zu legitimieren. Zum Repertoire des türkischen Geheimdienstes gehören Angriffe durch als Guerillakämpfer verkleidete Einheiten auf die Zivilbevölkerung oder Peschmerga-Kräfte. Auch sind in der Region Heftanîn und Zînî Wertê immer wieder türkische Geheimdiensteinheiten in Peschmerga-Uniformen gesichtet worden. Mit solchen Provokationen sollen die guerillafreundliche Stimmung in Südkurdistan gekippt und insbesondere die Peschmerga zum Kampf gegen die Guerilla angestachelt werden. Die Peschmerga sind aufgrund ihrer Erfahrungen im Kampf gegen die Guerilla aus mehreren Gründen wenig bereit, in den Krieg gegen sie zu ziehen. Auf politischer Ebene ist ihnen ebenfalls klar, dass sie sich damit zum Instrument der Türkei machen würden, und auf emotionaler Ebene sind die Schrecken des Südkriegs nicht vergessen.
Erinnerungen an Südkrieg werden wach
Ähnlich wie bei der aktuellen Heftanîn-Invasion begann der sogenannte Südkrieg mit einem massiven Einmarsch der türkischen Armee. In der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 1997 marschierten Truppen mit etwa 200.000 Soldaten und mehreren tausend „Dorfschützern“ im Rahmen der „Operation Hammer“ (türk. „Çekiç Operasyonu“) in Südkurdistan ein, mit dem Ziel, die Guerilla auszulöschen. Die PDK hielt ihr Wort nicht und beteiligte sich wie zuvor aktiv an der sogenannten „Hammer-Operation“ der türkischen Armee gegen die PKK. Darunter litt insbesondere die Zivilbevölkerung schwer. Die Peschmerga der PDK scheiterte an der Entschlossenheit und der Kampfkraft der Guerilla. Ein weiterer Grund für die geringe Motivation der Peschmerga-Basis gegen die Guerilla vorzugehen, ist die objektive Rolle der Guerilla bei der Verteidigung von Südkurdistan.
Serbest Lezgin – Der Mann der PDK für schmutzige Operationen
Der Verrat an der ezidischen Bevölkerung gegenüber dem IS am 3. August 2014 fand unter dem Kommando von Serbest Lezgin statt. Doch der IS gab sich mit der Şengal-Region nicht zufrieden, sondern marschierte auf Hewlêr zu. Während sich die Peschmerga fluchtartig zurückgezogen hatte, schützte die Guerilla bei Mexmûr die PDK-regierte Hauptstadt Hewlêr vor dem IS. Dieser Kampf war so bedeutend, dass sich Mesûd Barzanî, der damalige Präsident von Südkurdistan, dazu genötigt fühlte, sich bei der Guerilla zu bedanken.
Aufgrund der durch die Guerilla gewonnenen Anerkennung benötigen die PDK-Führung und der türkische Staat ernsthafte Provokationen, um eine Chance zu haben, den Kampf mit unmotivierten, unterbezahlten Peschmerga zu führen. Dass der verschriene PDK-Loyalist Serbest Lezgin nun einen Teil des Kommandos im Kampf gegen die Guerilla führen soll, deutet daraufhin, dass genau solche Angriffe bevorstehen könnten.
Attentat auf Direktor der Sicherheitskräfte Provokation?
Möglicherweise hat die Strategie der Provokationen schon begonnen. Am 8. Oktober wurde Gazi Salih Alihan, Direktor des Asayiş beim Zoll am Grenzübergang Serzêrê in Südkurdistan durch ein Attentat getötet. Die Presse der PDK und ihre Sicherheitskräfte beschuldigten die Guerilla, hinter dem Anschlag zu stecken. Die Volksverteidigungskräfte HPG dementierten klar und verurteilten den Angriff. Es ist zu befürchten, dass weitere ähnliche Attacken bevorstehen.