Mehr als 200 Festnahmen nach Newroz in Amed

Es gleicht einem Ritual, dass die türkische Polizei Jahr für Jahr im Nachgang zu Newroz Festnahmen durchführt, um die kämpferische Stimmung zu trüben. In Amed befinden sich über 200 Menschen in Gewahrsam, darunter Dutzende Minderjährige.

Polizeiterror

Die Großkundgebung in Amed (tr. Diyarbakır) markierte auch in diesem Jahr wieder den historischen Höhepunkt der Feierlichkeiten zu Newroz in Kurdistan. Rund eine Million Menschen waren am Donnerstag auf das Festgelände im zentralen Stadtteil Rêzan (Bağlar) geströmt, um unter der Parole „Erhebt euch, es ist die Zeit der Freiheit und des Erfolgs“ gemeinsam das neue Jahr zu feiern und die Freiheit von Abdullah Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage zu fordern. Den Vertretern des AKP/MHP-Regimes schien die Begeisterung offensichtlich zu missfallen.

Mehrere schwerbewaffnete Hundertschaften der türkischen Polizei, die auf Anordnung des Gouverneursamtes im Einsatz waren, störten schon bei der Einlassphase den Ablauf von Newroz und behinderten den vom Veranstaltungskomitee eingesetzten Ordnungsdienst. Zahlreiche Menschen berichteten auf X von übergriffigen und unverhältnismäßigen Einlasskontrollen. Während der Feier wurden der Anwaltsvereinigung ÖHD zufolge Beleidigungen durch Polizisten im Sicherheitsbereich zwischen Bühne und Publikum dokumentiert. Am Ende der Feier führte die Polizei dann mehr als 200 Festnahmen durch.

Festnahmen wegen „iillegalen Symbolen“

Insgesamt 204 Festnahmen dokumentierte der ÖHD-Ortsverband im Nachgang zu Newroz in Amed. Begründet worden seien die Ingewahrsamnahmen von der Polizei mit „Şal û Şapik“ und anderen kurdischen Symbolen wie etwa Schals in den Farben grün, rot und gelb, deren Tragen „illegal“ sei. Allen Betroffenen drohten Anzeigen und Strafverfahren, möglicherweise wegen des Vorwurfs der „Terrorpropaganda“. Unter den Festgenommenen befinden sich laut ÖHD-Angaben auch 38 Minderjährige. Es wird erwartet, dass sie am Morgen freigelassen werden.

Verbotene Tracht

Die Kleidungskombination Şal û Şapik, die aus Pluderhose, Hemd, einer Weste und einem Tuchgürtel besteht, ist eine jahrhundertealte Tradition in Kurdistan. Im Norden ist sie heute jedoch fast nur noch bei festlichen Anlässen und Feiern zu sehen. 1945 wurde diese Kleidung sogar vom türkischen Staat verboten, weil auch die kurdischen Widerständigen und Partisanen Şal û Şapik trugen. Auch die Uniformen der PKK-Guerilla ähneln dieser Bekleidung. Nicht selten ist in der Türkei daher von „verbotenen Trachten“ die Rede.

Minderjährige in Cizîr mit Fausthieben und Tritten traktiert

Festnahmen im Zusammenhang mit Newroz gehören traditionell zu den Feierlichkeiten rund um das kurdische Neujahr. Jedes Jahr werden die Veranstaltungen von Störaktionen türkischer „Sicherheitskräfte“ überschattet. In Cizîr (Cizre) in der Provinz Şirnex (Şırnak) nahmen Polizisten in Zivil am Mittwoch vorübergehend sechs Minderjährige fest, die sich an der dortigen Newroz-Feier beteiligt hatten – ebenfalls in Şal û Şapik. Wie auf einem Video des Vorfalls zu sehen ist, wurden die Jugendlichen teilweise mit Faustschlägen und Tritten traktiert. Das in Berlin ansässige kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit (Civaka Azad) verurteilte das Vorgehen: „Das diesjährige Newroz-Fest war eine Manifestation des kurdischen Widerstands gegen das Erdogan-Regime. Der türkische Staat reagierte darauf in ganz Nordkurdistan in typisch kolonialer Manier mit brutaler Polizeigewalt.“

Journalist:innen in Istanbul gewaltsam festgenommen

Auch in zahlreichen weiteren Städten kam es am Rande der Newroz-Feiern zu Festnahmen. In der westtürkischen Metropole Istanbul hatte die Polizei am Sonntag mehr als fünfzig Personen gewaltsam festgenommen. Unter ihnen waren auch drei Medienschaffende, darunter eine AFP-Korrespondentin. Die Videojournalistin Eylül Yaşar wollte gerade die Neujahrsfeier filmen, als sie nach Angaben von Zeug:innen an einem Kontrollpunkt festgenommen wurde. In Handschellen wurde sie sechs Stunden lang zusammen mit 14 anderen Menschen in einem Polizeitransporter festgehalten, bevor sie wieder freigelassen wurde.

Polizei beleidigt Festgenommene als „Schweinekot, Terroristen und Verräter“

Yaşar sagte, vor der Festnahme hätten die Polizisten sie einer „zudringlichen“ und „brutalen“ Leibesvisitation unterzogen. Sie und die anderen Menschen in dem Transporter seien von Beamten zudem beleidigt und als „Schweinekot, Terroristen und Verräter“ bezeichnet worden. Zwei weitere Presseleute, bei denen es sich um Tuğçe Yılmaz und Ali Dinç vom Nachrichtenportal Bianet handelte, waren von der Polizei geschlagen und zu Boden geworfen worden. Sie hatten die Festnahmen von Yaşar und anderen gefilmt, als sie ebenfalls angegangen wurden. Ein Polizist hatte Yılmaz sogar am Boden festgehalten und sich dabei auf den Hals der Journalistin gekniet. Sie hat inzwischen Anzeige gegen die Istanbuler Polizei erstattet.