Die Linke-Vorsitzende Janine Wissler ist in Amed (tr. Diyarbakır) mit Vertreterinnen der Partei der demokratischen Regionen (DBP) und der Frauenbewegung TJA zusammengetroffen, um Gespräche zu führen und einen Eindruck von der politischen und menschenrechtlichen Lage zu bekommen. Begleitet wurde Wissler dabei von dem Berliner Linke-Abgeordneten Hakan Taş.
Als erste Adresse steuerten Wissler und Taş das Informationsbüro der DBP an. Dort wurden sie von der DBP-Vorsitzenden und Parlamentsabgeordneten Saliha Aydeniz empfangen. Es fand ein Meinungs- und Ideenaustausch statt, an dem sich auch die HDP-Abgeordnete Feleknas Uca beteiligte. Wissler sagte, für sie sei es wichtig, gerade vor der für den 14. Mai angesetzten Parlaments- und Präsidentschaftswahl ein sichtbares Zeichen der Solidarität zu setzen.
Thematisiert wurden zahlreiche Themen, wie etwa die Kriegspolitik des türkischen Staates und die damit zusammenhängende Weigerung, die kurdische Frage zu lösen, sowie die Repression gegen die demokratische Opposition. Die fortgesetzte Isolation gegen Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali war ebenfalls Gegenstand des Gesprächs. Aydeniz bezeichnete die „Isolationspolitik“ als größtes Hindernis für eine Demokratisierung der Türkei.
Prozessbeobachtung im sogenannten Kobanê-Verfahren
Der anschließende Besuch bei der TJA fand unter Ausschluss der Presse statt. Bis morgen sind weitere Gespräche mit Menschenrechtsorganisationen, politischen Initiativen und Parteien geplant. Am Dienstag werden Wissler und Taş nach Ankara reisen, um die Urteilsverkündungen im „Kobanê-Verfahren“ zu beobachten. 108 Angeklagten, bei denen es sich hauptsächlich um führende Politikerinnen und Politiker der Demokratischen Partei der Völker (HDP) handelt, droht auf Grundlage von konstruierten Vorwürfen im Zusammenhang mit den Kobanê-Protesten im Herbst 2014 lebenslange Haft.
Regierung in Europa verschließen ihre Augen
Der Kobanê-Prozess ist auch der eigentliche Anlass der Reise Wisslers in die Türkei. Die Politikerin folgte damit der Einladung der HDP zu einer internationalen Prozessbeobachtung. Denn: Der Prozess steht in engem Zusammenhang mit dem laufenden Verbotsverfahren gegen die HDP, das noch vor den Wahlen abgeschlossen werden soll, und ist von rechtswidrigen Entscheidungen geprägt. Wissler äußerte im Vorfeld ihrer Reise: „Es ist zu befürchten, dass bei einem möglichen Verbot der HDP, einer bevorstehenden Frühjahrsoffensive der Türkei in Syrien und weiteren schweren Repressionen gegen die Opposition im Vorfeld der Wahlen in der Türkei, die europäischen Regierungen die Augen verschließen.“
Menschenrechtsbasierte Außenpolitik erfordert klare Zeichen
Daher sei es wichtig, dort hinzuschauen und Solidarität mit all jenen zu zeigen, die in der Türkei politisch verfolgt werden. „Seit Jahren steht die Opposition in der Türkei unter enormen Druck, tausende Politiker:innen und Journalist:innen sind in Haft. Wer gegen die Politik der Regierung protestiert, der wird, wie der Kobanê-Prozess zeigt, versucht durch konstruierte Vorwürfe und Gerichtsverfahren mit der Aussicht auf jahrelange Haft unter Druck gesetzt“, so Wissler. Es sei dringend notwendig, dass aus Europa Signale der Solidarität mit der demokratischen Opposition kommen. Es dürfe nicht sein, dass man einen Autokraten wie Recep Tayyip Erdogan unter dem Druck von EU-Flüchtlingsdeal und NATO-Mitgliedschaft einfach gewähren lässt. „Wer es mit einer menschenrechtsbasierten Außenpolitik ernst meint, muss hier klare Zeichen setzen.“