Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) hat der PDK erneut vorgeworfen, sich aktiv am Krieg des türkischen Staates zur Zerschlagung der kurdischen Befreiungsbewegung zu beteiligen. Hintergrund sind mehrere tödliche Angriffe von Spezialeinheiten der in Südkurdistan dominierenden Partei auf Angehörige der Volksverteidigungskräfte (HPG). Zuletzt hatten die HPG am Samstag vom Verlust von sieben Kämpferinnen und Kämpfern berichtet, die in Xelîfan in einem PDK-Hinterhalt ermordet wurden. In der nordöstlich von Hewlêr (Erbil) liegenden Ortschaft ist bereits Ende Juli der Kontakt zu einer dreiköpfigen Guerillaeinheit abgebrochen. Zuvor wurde die Gruppe von PDK-Truppen angegriffen. Die Barzanî-Partei verweigert bis heute Informationen, die zur Aufklärung des Vorfalls beitragen könnten.
Die Beteiligung der PDK an den Invasionen der Türkei in den von der Guerilla kontrollierten Medya-Verteidigungsgebieten ist nicht neu. Die KCK weist darauf hin, dass die PDK im Frühjahr 2020 begonnen hat, um Guerillagebiete einen Belagerungsring zu ziehen, damit der türkische Staat Rückenfreiheit für sein weiteres Vordringen in Südkurdistan erhält. Durch abgeschnittene Verbindungswege und einen immer enger werdenden Bewegungsspielraum werde eine aktive „Kesselpolitik“ gegenüber der Guerilla betrieben, die das kriegerische Handeln der Türkei erleichtern soll, kritisiert die KCK. In diesem Zusammenhang sei die PDK auch für den Tod von sechs Zendûra-Gefallenen verantwortlich. Auf dem Gipfel in der Region Metîna leistete die Guerilla 50 Tage lang erfolgreich Widerstand gegen die türkische Armee. Erst als die PDK am 5. Juni das Gebiet von hinten belagerte, zog sich die Guerilla zurück. Diese Provokation hatte eine Änderung der Taktik erfordert. Während eine Gruppe von Kämpfer:innen wohlbehalten abziehen konnte, sind am 11. Juni sechs Guerillakämpfer bei der Sicherung des Abzugs am Zendûra gefallen.
Operation zur Verhinderung von Guerillabewegungen
„Als Reaktion auf die jüngste HPG-Erklärung übernahm die PDK die Verantwortung für den Hinterhalt in Xelîfan, indem sie fragte, was die Guerilla in dem Gebiet zu suchen habe. Damit hat sie faktisch eingeräumt, Maßnahmen zur Umzingelung unserer Kräfte und zur Unterbrechung ihrer Verbindungswege durchzuführen. Der Hinterhalt, in den die dreiköpfige Guerillagruppe geriet, und der Angriff auf sieben HPG-Mitglieder in demselben Gebiet sind das Ergebnis dieser Operation zur Verhinderung von Guerillabewegungen. Durch die Frage nach den Hintergründen der Präsenz in Xelîfan versucht die PDK ihre Angriffe auf die Guerilla zu legitimieren. Es zeichnet sich ab, dass die Medya-Verteidigungsgebiete auch in Zukunft von der PDK eingekesselt und weitere Angriffe auf Guerillaeinheiten folgen werden. Dieses Handeln bedeutet nichts anderes als eine aktive Unterstützung für Vernichtungsangriffe gegen unsere Bewegung“, erklärt die KCK.
Widerstand im Interesse aller Kurden
Aus der HPG-Erklärung zu dem Hinterhalt in Xelîfan geht hervor, dass die Guerilla bisher davon absah, auf die eskalierende Aggression der PDK zu reagieren, um provozierte Auseinandersetzungen zu vermeiden. Zugleich wiesen die HPG darauf hin, dass die PDK zu einseitigen Angriffen übergegangen sei, da ihre Kriegspläne durch die Zurückhaltung der Guerilla durchkreuzt wurden. „Wir überlassen es dem Gerechtigkeitssinn und Gewissen der kurdischen Gesellschaft, dass sich die PDK an den faschistisch motivierten Besatzungsangriffen und Massakern des türkischen Staates an unserem Volk und unseren Kräften beteiligt“, heißt es in dem Statement. „Damit ist unser Volk und aufgerufen, gegen die Haltung der PDK aktiv zu werden“, hält die KCK fest. Weiter heißt es:
„Seit viereinhalb Monaten leistet die Guerilla im Interesse des gesamten kurdischen Volkes Widerstand gegen die Besatzungsangriffe des türkischen Staates. Er befindet sich heute in den Gebieten, in die er eingedrungen ist, in einer Sackgasse. Um sich aus dieser Lage zu befreien, greift der türkische Staat – der treibende Motor hinter der genozidalen und kolonialistischen Kurdenfeindlichkeit – Şengal, Mexmûr, Penjwin, Şehrazor und Rojava an. Dutzende Kurdinnen und Kurden wurden bei diesen Angriffen getötet und verletzt. Der türkische Staat greift überall in Kurdistan an und setzt unter anderem chemische Kampfstoffe ein. Parallel dazu verstärkt die PDK ihre Umzingelungsoperation und ihre Angriffe auf die Guerilla. Diese Attacken dienen eindeutig dazu, dem türkischen Staat Luft zu verschaffen und seine Besatzungsangriffe zu unterstützen. Sie bedeuten, zu einem Teil des Konzepts zu werden, das auf die Zerschlagung der kurdischen Freiheitsbewegung zielt.“
Die Türkei betrachte die Angriffe der PDK als Grundlage dafür, ihre Invasion zu legitimieren. Türkische Staatsvertreter sprechen inzwischen offen davon, dass Angriffe auf die Regionen Avaşîn, Zap und Metîna in Koordination mit lokalen Kräften stattfinden. „Die Beziehungen der PDK zum türkischen Staat und die gemeinsamen Angriffe gegen die PKK schaden mittlerweile dem gesamten kurdischen Volk, dem Kampf des Volkes in allen vier Teilen Kurdistans und all seinen Errungenschaften. Die Politik der PDK führt zu Ergebnissen, die alle Kurd:innen schwächen werden. Je länger dieser Zustand andauert, desto größer wird der Schaden am Ende ausfallen“, so die KCK.
PDK betrachtet verantwortungsvolle Haltung der Guerilla als Schwäche
Die kurdische Freiheitsbewegung und die Guerilla seien sich darüber bewusst, dass Auseinandersetzungen mit der PDK dem Freiheitskampf und der Zukunft Kurdistans massiv schaden werden. Daher sei bisher tunlichst vermieden worden, dass solch eine Situation eintrifft. „Mit den Angriffen auf die Guerilla zeigt sich aber nun, dass die PDK diese verantwortungsvolle Haltung als Schwäche betrachtet. Wird dies in Zukunft nicht verhindert, besteht die Gefahr, dass es den Kurd:innen in einer Phase wie dieser, in der im Mittleren Osten ein neues Gleichgewicht geschaffen werden soll, nicht gelingen wird, eine einflussreiche Rolle einzunehmen – wie bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der völkermörderische, kolonialistische türkische Staat greift in dieser politischen Phase überall an, damit die Kurd:innen nicht an Kraft gewinnen und einen dauerhaften Status erringen. Er richtet seine gesamte Politik und all seine diplomatischen Beziehungen darauf aus, die Erstarkung unseres Volkes zu verhindern und sein Ziel eines umfassenden kurdischen Genozids im 21. Jahrhundert zu erreichen.“
Die kurdische Öffentlichkeit müsse klar Haltung gegen diese Lage beziehen, die direkte Folgen für ihre Existenz, Zukunft und ein freies und demokratisches Leben habe. „Wenn unter dem Verweis, es handele sich um eine kurdische Organisation mit politischer Kontrolle über ein gewisses Gebiet, keine Haltung gegen die PDK-Politik bezogen wird, wird es zu bedauernswerten Entwicklungen kommen. Gegen die Beziehungen der PDK zur Türkei, deren darauf basierende PKK-feindliche Haltung und die Angriffe auf die Guerilla müssen die politischen Parteien in allen vier Teilen Kurdistans ihre patriotische Haltung deutlich zum Ausdruck bringen. Jegliche Entwicklungen, die zur Schwächung der politischen Kraft der Kurdinnen und Kurden führen, werden politische Kräfte in allen Teilen Kurdistans schwächen.“
Kurdische Bewegung soll zur Kapitulation gezwungen werden
Angesichts des Schulterschlusses der PDK mit Ankara sei es eine historische Verantwortung und Pflicht des kurdischen Volkes, aktiv zu werden, um Entwicklungen zu verhindern, die die Existenz und Zukunft der Kurd:innen bedrohen. „Es wird Druck ausgeübt, um unsere Bewegung zur Kapitulation und zur Aufgabe ihres Kampfes gegen die genozidal handelnde Türkei zu zwingen. Trotz des geduldigen und verantwortungsbewussten Verhaltens unserer Freiheitsbewegung und der Guerilla hat die PDK ihre feindliche Politik und Haltung bisher nicht beendet. Daher müssen die nackten Tatsachen nun endlich erkannt werden. Wir sind fest davon überzeugt, dass das kurdische Volk, seine Intellektuellen und Künstler:innen sowie alle politischen Kräfte jegliches Handeln verhindern werden, das das Bestehen unserer Menschen gefährdet. Sie werden dies auf Grundlage des tiefen patriotischen Bewusstseins, das vom kurdischen Volk im Verlauf seines seit hundert Jahren andauernden Kampfes entwickelt wurde, und dessen Bewusstsein für den Charakter der Feinde der Kurd:innen tun.“