Murat Karayilan ist Mitglied im Exekutivrat der PKK und gehört damit zu den Führungspersönlichkeiten der kurdischen Freiheitsbewegung. In einer beim Fernsehsender Stêrk TV ausgestrahlten Sondersendung anlässlich des PKK-Gründungsjubiläums analysierte Karayilan die aktuelle Position der Türkei im regionalen und geopolitischen Kontext, und blickte auf die vergangenen 42 Kampfjahre der Arbeiterpartei Kurdistans zurück.
„Das kurdische Volk lag sozusagen auf dem Sterbebett, aber es wurde wieder zurück ins Leben gerufen und zu einer echten Kraft gemacht“, sagte Karayilan rückblickend auf die Zeit vor der PKK und führte weiter aus: „Heute zählen die Kurden zu den dynamischsten und entscheidendsten Faktoren im Mittleren Osten. Der Feind wollte das kurdische Volk assimilieren und vernichten. Um das zu erreichen, sollte seine Rückständigkeit zementiert werden. Es ist jedoch das Gegenteil eingetreten, heute ist Kurdistan das Zentrum des Kampfes für Fortschritt, Freiheit und Demokratie. Die genozidale Kolonialpolitik gegenüber Kurdistan ist gescheitert. Als Nation haben wir unsere Existenz erkämpft und Vernichtung und Assimilation gestoppt. Mit dem Kampf der PKK wurde vor allem die kurdische Existenz gesichert und konkretisiert. Es wurden eine Theorie der kurdischen Gesellschaft, ein Wissen und eine Perspektive entwickelt, wodurch eine Renaissance Kurdistans geschaffen wurde und die kurdische Gesellschaft sich von Grund auf veränderte. Dies ist eine große Errungenschaft. Wir sind jetzt auf der Bühne und das ist sicher. Die Zeit für Freiheit ist nun endlich gekommen.“
Türkisches Regime ist am Ende
Karayilan sieht den Krieg gegen den AKP/MHP-Faschismus in eine wichtige Phase eintreten: „Wir haben Opfer erbracht und bringen sie weiterhin, aber das Regime, das insbesondere in den vergangenen sechs Jahren keine Möglichkeit ausgelassen hat, um uns zu vernichten, befindet sich auf dem Weg zur Niederlage. Es hatte keinen Erfolg uns gegenüber und die Krise im System hat sich deutlich vertieft. Es ist aktuell sehr geschwächt. Die Krise hat sich auf ökonomischer, militärischer und politischer Ebene verschärft. Insbesondere in den letzten Tagen haben Recep Tayyip Erdoğan und sein Umfeld begonnen, von Reformen und Menschenrechten zu sprechen. Sie sind 18 Jahre an der Regierung! Sie haben Europa und seine Werte beschimpft und beleidigt und stellen sich hin und sagen ganz unverfroren, ihr Platz und ihre Richtung sei Europa. Das Regime ist isoliert, es hat niemanden mehr, auf den es sich stützen könnte.“
Regime schwenkt die weiße Fahne
Bisher sei US-Präsident Donald Trump die Hauptstütze Ankaras gewesen, so Karayilan. Nach dessen Wahlniederlage dürfte Erdogan schwer geschluckt haben. „Das Regime ist im Prinzip in Angst und Panik. Die Worte, die man vor ein paar Tagen noch aus dem Regierungslager vernahm, gelten offenbar nicht mehr. Natürlich ist das alles verlogen. Das ist eigentlich eine Niederlage. Das Regime sendet an Joe Biden und Europa Signale, dass es sich „ergeben“ würde. Man wedelt mit der weißen Fahne. Der Gesellschaft wird erklärt, man wolle Reformen durchführen. Diese mörderische Politik ist durch Widerstand und Kampf in eine Sackgasse manövriert worden.“
Die Zeit ist reif
Mit Blick auf das kommende Jahr sagte Karayilan: „Das 43. Jahr der PKK wird nicht wie die vergangenen Kampfjahre sein. Unser Volk muss sich dem klar werden und dementsprechend noch stärker organisieren und noch mehr kämpfen. Die Isolation auf Imrali muss durchbrochen werden. Die Gefangenschaft von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] muss enden. Die Kampagne der KCK muss in diesem Sinne noch mehr ausgeweitet und verstärkt werden. Die Frauen, Jugendlichen und alle arbeitenden Klassen in Kurdistan, der Türkei und den anderen Regionen müssen noch aktiver vorgehen. Wenn wir auf dieser Grundlage kämpfen, dann können wir das Regime besiegen. Die Zeit ist reif.“
Guerilla trägt Hauptlast
Natürlich falle die Hauptlast und eine große Rolle der Guerilla zu, so Karayilan: „Das wissen wir. Die Guerilla unternimmt große Anstrengungen, sich selbst zu erneuern und sich im Sinne der Gefallenen vorzubereiten. So wird das 43. Jahr kein gewöhnliches Jahr werden. Es wird ein wichtiges Jahr für die PKK sein. Es wird ein Jahr großer Kämpfe und wichtiger Schritte für die Freiheit Kurdistans und von Rêber Apo, wie auch für die Demokratisierung der Türkei.“