Irak will IS-Angehörige nahe Şengal unterbringen

Noch im März will die irakische Regierung den Bau eines Lagers für tausende IS-Angehörige, die derzeit im nordsyrischen Hol-Camp untergebracht sind, fertigstellen. Die Aufnahmestelle wird in Zumar errichtet, nur eine Stunde Autofahrt von Şengal entfernt.

Die Regierung in Bagdad lässt im Gouvernement Ninive (Ninawa) Aufnahmestellen für irakische Staatsbürger errichten, die aktuell noch im nordostsyrischen Camp Hol bei Hesekê untergebracht sind. Bei einem Großteil handelt es sich um Angehörige von Dschihadisten der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS).

Eines der Lager soll noch im März fertiggestellt werden, der Bau ist fast vollständig abgeschlossen. Das Camp befindet sich in al-Amla, einem Ort in der Kleinstadt Zumar, die zum Distrikt Tel Afar (auch Tal Afar) gehört. Bis zu 4.000 Familien soll das Lager beherbergen. Damit würden alle 31.400 Irakerinnen und Iraker aus dem Hol-Camp in Ninive untergebracht. Bei einem Großteil handelt es sich um Menschen aus Mosul, die 2014 vor dem IS geflohen sind. Aber auch Tausende IS-Mitglieder und ihre Angehörigen, die nach der Einnahme der letzten Bastion der islamistischen Terrororganisation in Ostsyrien im März letzten Jahres von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) aufgegriffen wurden, befinden sich unter ihnen.

Bewohner sind entsetzt

Das Gouvernement Ninive ist multiethnisch und multireligiös. Der Norden und Osten setzt sich mehrheitlich aus Kurden, assyrisch-aramäisch-chaldäischen Christen und sunnitischen Arabern zusammen. Die westlichen Regionen sind größtenteils turkmenisch besiedelt. Als der IS im Jahr 2014 weite Teile des Iraks überrannte, blieben nur wenige Orte in Ninive von der Miliz verschont. Erst fiel Mosul, dann zog die Miliz mordend weiter Richtung Tel Afar, die Stadt, aus der ein Großteil der mittleren IS-Kader stammte, und später nach Şengal. Dort erreichte die IS-Terrorherrschaft ihren Höhepunkt, als am 3. August 2014 tausende Ezidinnen und Eziden Opfer eines Genozids wurden. Dass nun Familien von Dschihadisten, die sich an IS-Kriegsverbrechen beteiligten, womöglich aktiv am ezidischen Genozid mitwirkten, nur eine Stunde Autofahrt von Şengal entfernt in einem Lager untergebracht werden soll, sorgt in Ninive für Entsetzen. Die Menschen befürchten an dem Ort, der mehr als drei Jahre massiv unter dem IS gelitten hat, eine Reorganisierung der Miliz.

Bauvorhaben erst bestritten, jetzt bestätigt

Noch im vergangenen Juli bestritt das irakische Ministerium für Flucht und Migration den Bau für ein Lager für irakische Staatsangehörige aus dem Hol-Camp. Letzte Woche bestätigte ein Regierungssprecher, dass die Umsiedlung nach Zumar noch im März beginnen soll. Man plane, die Rückholaktion schrittweise innerhalb von drei Monaten abzuschließen.

Nicht nur die Einwohner*innen von Ninive sind besorgt, die zudem beklagen, über das Bauvorhaben nicht in Kenntnis gesetzt worden zu sein und auf dem juristischen Weg versuchen, die Eröffnung zu unterbinden. Dass die Wahl für solch eine Unterbringungsstelle gerade auf diese Region gefallen ist, bereitet auch zahlreichen Parteien im Parlament große Sorgen. Ein Camp dieser Art würde nicht nur für Ninive eine Sicherheitsbedrohung darstellen, sondern für den gesamten Irak.

Ezidischer Journalist: Geplanter Piratenakt

Der ezidische Journalist Tehsin Şêx Kalo glaubt, dass es sich um einen „Piratenakt“ handelt. „Offenbar soll das ezidische Volk einem weiteren Genozid geopfert werden. Gleichzeitig soll mit dem Camp die Verbindung zwischen der südkurdischen Autonomieregion und Şengal gekappt werden. Es ist ein perfider Plan, den die irakische Regierung versucht umzusetzen.“

Der Landrat der Gemeinde Sinune in Şengal, Xwedida Cokê, prangert an, dass die PDK-geführte Autonomieregierung in Hewlêr (Erbil) und die irakische Zentralregierung in Bagdad die Eziden für ihre Eigeninteressen missbrauchen. „Die Meinungsführer und Stammesvertreter aus Ninive haben in der Vergangenheit eine Reihe von Gesprächen mit der Regierung über Unterbringungsmöglichkeiten für die in Hol internierten irakischen Staatsbürger geführt. Es wurde vorgeschlagen, dass Aufnahmestellen und Camps in Tikrit, Diyala oder Anbar errichtet werden. Aus Anbar stammen auch die meisten Iraker, die sich in Lagern in Syrien befinden. Wieso die Regierung dennoch mitten in Ninive Tausende IS-Angehörige ansiedeln will, wirft Fragen auf.“

Landrat von Sinune: Eziden wollen selber über ihre Zukunft entscheiden

Cokê mahnt, dass Entscheidungen über die Unterbringung von IS-Mitgliedern gerade im Kontext des Genozids an den Eziden nicht einzig von der Regierung getroffen werden dürften. „Ist es nicht diese Mentalität und Politik, die zu Massakern und Genoziden an unserer Gemeinschaft geführt hat? Wir als Eziden wollen selber darüber entscheiden, ob wir in unserer unmittelbaren Nähe Leute vom IS haben wollen oder nicht. Unsere Meinung ist klar: wir wollen sie hier nicht haben. Sowohl Hewlêr als auch Bagdad sollen endlich akzeptieren, dass sich die ezidische Gemeinschaft selbst verwalten will und Entscheidungen, die allein die Eziden betreffen, selbstständig treffen möchte. Damit das Leid, das uns widerfahren ist, sich nicht wiederholt.“

Foto: Demokratische Kräfte Syriens (QSD) evakuieren nach Einnahme der letzten IS-Bastion al-Baghouz IS-Mitglieder,  26. Februar 2019. Quelle: YPG