Internationalisten in Qendîl

Internationalist*innen aus Spanien, Portugal, Deutschland und Galizien schildern ihre Eindrücke aus den südkurdischen Qendîl-Bergen, wo sie an einer Aktion „lebender Schutzschilde“ teilgenommen haben.

Wir sind aus Spanien, Portugal, Deutschland und Galizien nach Kurdistan gekommen. Wir sind hier mit dem Ziel, aus dem revolutionären Kampf der kurdischen Freiheitsbewegung zu lernen, ein tieferes Verständnis der Ideologie und des Systems des demokratischen Konföderalismus zu erlangen und Wege zu finden, die Revolution intensiver zu unterstützen.

Die letzten Wochen verbrachten wir in den Bergen von Qendîl und nahmen an der Protestaktion zum Schutz des Menschen teil. Die Region Qendîl südlich der türkischen Grenze ist im Rahmen der ‚Operation Kralle‘ Bombardierungen des türkischen Militärs ausgesetzt. Die Operation zielt darauf ab, die kurdische Freiheitsbewegung unabhängig von zivilen Verlusten zu zerstören. Sie ist Teil einer langen Kampagne von Angriffen des türkischen Präsidenten auf das kurdische Volk.

Unser erster Bombenangriff

Als wir die kurvenreiche Straße in die Region hinauffuhren, sahen wir ausgebrannte Zivilautos, zerstörte Brücken und Häuser. Der Anblick erweckte den ersten Eindruck, dass wir uns in einem Kriegsgebiet befinden. Anstatt aus sicherer Entfernung in Europa darüber zu lesen, waren wir jetzt mittendrin und nicht in der Lage, die Nachrichten einfach auszutauschen.

Während der Zeit im Lager hörten wir ständig Berichte über Drohnen und Jets, die über unsere Köpfe fliegen, Bombenangriffe in der Ferne und Menschen, die bei diesen Angriffen getötet wurden. Überraschenderweise traten keine Gefühle der Unsicherheit auf. Wir waren umgeben von Freundinnen und Freunden aus der Bewegung, denen wir vertrauen konnten, und wir erhielten auch zahlreiche Berichte über den erfolgreichen Widerstand der Verteidigungskräfte.

Nach etwa zwei Wochen in Qendîl erlebten wir den ersten Bombenangriff aus kurzer Entfernung. Gegen 23.30 Uhr durchbrach ein dröhnendes Geräusch die Stille der Nacht und kurz darauf hallten Explosionsgeräusche um uns herum. Wir konnten die hellen Lichter der explodierenden Bomben in einer Entfernung von wenigen Kilometern sehen. In einem Gefühl des Unglaubens schien der Schlaf in diesem Moment nicht möglich. Dennoch gab uns die Anwesenheit der Guerilla ein Gefühl der Sicherheit.

Kein Konkurrenzverhalten erkennbar

Das Gemeinschaftsleben, das wir in der Region erlebt haben, unterscheidet sich deutlich von dem Leben, das wir von Europa gewohnt sind. Der vermeintliche Widerspruch zwischen Individuum und Gemeinschaft scheint überwunden. Es war kein Wettbewerbsverhalten erkennbar. Alles zu teilen, ist hier eine Selbstverständlichkeit. Besonders das Verhältnis zwischen Frauen hat uns beeindruckt. Es gab eine starke Fürsorge untereinander und ein Maß an Unabhängigkeit der Frauen, dem wir in europäischen feministischen Kreisen nicht begegnet sind. Diese erste Erkenntnis des Gemeinschaftslebens gab uns die Gelegenheit, darüber nachzudenken, was in den Gesellschaften, aus denen wir kommen, falsch ist.

Die Insel der Hoffnung verteidigen

Auf dem Weg zurück von Qendîl erreichte uns die Nachricht, dass Erdoğan erklärte, er werde Rojava angreifen, egal welche Position die NATO dazu vertritt. Seit einiger Zeit zieht das türkische Militär auf der türkischen Seite der Grenze Truppen zusammen.

Als revolutionäre, sozialistische, demokratische, humanistische und internationalistische Menschen müssen wir aktiv werden, um die Revolution in Rojava zu verteidigen. Rojava ist eine Insel der Hoffnung, wenn es darum geht, die grundlegenden Fragen unserer Zeit wie Klimagerechtigkeit und Geschlechtergleichheit zu beantworten. Seit sieben Jahren wird in dieser Region ein System autonomer radikaler Demokratie aufgebaut, mit dem Schwerpunkt auf einer ökologischen Gesellschaft und der Befreiung der Geschlechter. Diese Gesellschaft hat sich bereits vor den brutalen faschistischen Dschihadisten des „Islamischen Staat“ (IS) geschützt, die vom türkischen Staat unterstützt wurden. Jetzt muss unsere Solidarität wieder konkret werden, indem wir breite Aufmerksamkeit schaffen, alle um uns herum mobilisieren und Widerstand aller Art organisieren.