„Infrastrukturausbau“ in Erdîş: Drittes Gefängnis wird gebaut

2011 wurde die nordkurdische Stadt Erdîş von einem Erdbeben praktisch dem Boden gleich gemacht. Die größten Investitionen des Staates in der Kreisstadt in der Provinz Wan waren seither der Bau einer Polizeidirektion und eines dritten Gefängnisses.

Obwohl seit dem verheerenden Erdbeben in der Provinz Wan acht Jahre vergangen sind, liegt das Stadtzentrum von Erdîş (Erçiş) weiterhin in Trümmern. Trotz der Tatsache, dass es in der Stadt bereits zwei Gefängnisse gibt, ist die AKP-Regierung gerade dabei den Bau einer dritten Haftanstalt abzuschließen. Der Bau des staatlichen Krankenhauses in Erdîş kommt seit zehn Jahren nicht voran, aber eine neue Polizeidirektion wurde innerhalb eines Jahres fertiggestellt.

Wohnungen mit einem Wert von etwa 30.000 Lira wurden der Bevölkerung nach dem Erdbeben für 80.000 Lira verkauft. Daher sind Tausende, die in den von der staatlichen Wohnungsbaubehörde TOKI errichteten Wohnungen leben, aufgrund von Überschuldung bei Banken und Staat zum Ziel von Zwangsvollstreckungen geworden.

Die Haupteinnahmequelle der Bevölkerung ist die Landwirtschaft. Durch die Einführung von Quoten auf landwirtschaftliche Produkte und der Erklärung der Weideflächen zu militärischen Sperrgebieten, ist insbesondere die Viehzucht fast vollständig zum Erliegen gekommen. 2008 war in Erdîş der Grundstein für das neue staatliche Krankenhaus gelegt worden. Obwohl das Krankenhaus nie fertiggestellt wurde, ist es von der AKP im Rahmen von Wahlkämpfen innerhalb von zehn Jahren 14-Mal feierlich eröffnet worden. Die Gesundheitsversorgung ist für die Stadt mit ihren 200.000 Einwohner*innen völlig unzureichend, es gibt im Krankenhaus weder Ärzt*innen noch Gesundheitspersonal oder auch nur ausreichende Ausstattung. Deswegen müssen sich die Kranken weiterhin auf den Weg ins 100 Kilometer entfernte Wan machen.

Seit zwei Jahren kein Trinkwasser

Nachdem in Erdîş ein Zwangsverwalter anstelle der Stadtverwaltung der Partei der Demokratischen Regionen (DBP) eingesetzt worden war, brach die Trinkwasserversorgung zusammen. An praktisch allen Orten der Stadt sind die Trinkwasserleitungen geborsten. Vor drei Tagen fanden im Suli-Viertel, in dem 30.000 Menschen leben, Proteste gegen die seit zwei Jahren ausbleibende Trinkwasserversorgung statt. Die Proteste wurden von der Polizei angegriffen.

Nach der Ernennung eines türkischen Zwangsverwalters wurde die Stadtverwaltung mit hohen Betonbarrieren umgeben und überall Panzerfahrzeuge und Polizei stationiert. Bürger*innen, die zur Stadtverwaltung wollen, müssen sich auf einzelne Durchsuchungsprozeduren einlassen.

Läden seit acht Jahren in Baracken

Die Wiedererrichtung der Läden und Geschäfte im Stadtzentrum wird nicht genehmigt. Daher befinden sie sich im Stadtzentrum von Erdîş seit acht Jahren in behelfsmäßigen Baracken. Alle Straßen, ob in den Vierteln, dem Stadtzentrum oder den angrenzenden Dörfern sind durch Schlamm und Löcher praktisch unpassierbar. Erdîş erinnert an ein Dorf mit 200.000 Einwohner*innen, die Arbeitslosigkeit liegt bei über achtzig Prozent. Hunderte Menschen sind aus politischen Gründen inhaftiert. Der Handel wird von der AKP behindert. Die Waren, die Händler*innen aus Süd- und Ostkurdistan mitbringen, werden beschlagnahmt und den Ladenbetreiber*innen hohe Geldstrafen erteilt.

Ein Händler, der seinen Laden seit acht Jahren in einer zwei Quadratmeter großen Baracke betreibt, sagt: „Nach dem Erdbeben wollte ich mein Geschäft selbst wiederaufbauen, doch das wurde mir vom Staat nicht genehmigt. Der Staat erlaubt es uns nicht, er macht es aber selber auch nicht. Dieses Stadtzentrum ist mittlerweile wie ein Dorf. Alles ist kaputt, die Wege sind eine Katastrophe, wir bekommen seit Jahren kein Trinkwasser. Während sich die Stadt in diesem Zustand befindet und es bereits zwei Gefängnisse in Erdîş gibt, ist die AKP gerade dabei ein drittes fertig zu stellen. Der Staat ist seit zehn Jahren nicht in der Lage ein Krankenhaus fertig zu stellen, aber wenn es um eine Polizeidirektion geht, dann schafft er es innerhalb eines Jahres.“