Für Gerechtigkeit und Frieden
Die Amed-Sektion des Menschenrechtsvereins IHD hat im Kongresszentrum Çand Amed ihre 18. Generalversammlung abgehalten. Die Zusammenkunft stand ganz im Zeichen der jüngsten politischen Entwicklungen nach dem Friedensappell von Abdullah Öcalan und der Ankündigung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), ihren bewaffneten Kampf zu beenden.
An der Veranstaltung nahmen zahlreiche Vertreter:innen aus Zivilgesellschaft, Politik und Menschenrechtsarbeit teil – unter ihnen die aus Eren Keskin und Hüseyin Küçükbalaban bestehende Doppelspitze des IHD. Im Konferenzsaal erinnerten Fotos von verschwundenen Personen und Opfer staatlicher Gewalt an das Prinzip der Straflosigkeit; andere Transparente lenkten den Blick auf das Schicksal politischer Gefangener und an fortdauerndes Unrecht.
Eröffnungsrede von Eren Keskin
In ihrer Eröffnungsrede betonte Eren Keskin, dass allein schon das Sprechen über Frieden Hoffnung in der Gesellschaft auslöse. Sie gedachte der „Gruppe der Vier“ – die kurdischen Gefangenen Ferhat Kurtay, Eşref Anyık, Mahmut Zengin und Necmi Öner, die sich 1982 im berüchtigten Militärgefängnis von Diyarbakır selbst verbrannten – sowie dem Revolutionär Ibrahim Kaypakkaya, der 1973 unter Folter ermordet wurde. „Ihr Kampf gegen Folter und Unrecht ist Teil unseres Erbes“, so Keskin.
Frieden braucht Gerechtigkeit
Ercan Yılmaz, Ko-Vorsitzender der IHD-Zweigstelle in Amed, forderte in seiner Ansprache die Verankerung kurdischer Rechte in der Verfassung: „Das Ende eines Krieges bedeutet nicht gleich Frieden. Frieden heißt auch, sich der Wahrheit zu stellen, Gerechtigkeit herzustellen und das Vertrauen zwischen den Völkern neu aufzubauen.“ Zudem müssten kurdische Identität, Sprache und Kultur nach über einem Jahrhundert repressiver Assimilationspolitik endlich verfassungsrechtlich anerkannt und geschützt werden.
PKK-Entscheidung muss mit staatlichen Reformen beantwortet werden
Hüseyin Küçükbalaban bezeichnete das aktuelle Zeitfenster als Chance zur politischen Lösung: „Der Staat darf sich nicht länger hinter der Behauptung verstecken, es gäbe kein Problem. Die kurdische Frage ist nicht erledigt – sie ist ungelöst.“
Er verwies auf die historischen Wunden wie die Massaker von Dersim, Qoçgirî und Zîlan, die systematische Unterdrückung der kurdischen Sprache, die Zwangsverwaltung kurdischer Kommunen und die Isolation des PKK-Begründers Abdullah Öcalans auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali. Trotz der Aufhebung der Todesstrafe in der Türkei sei Öcalans Isolation de facto eine „auf Zeit gestreckte Hinrichtung“.
Küçükbalaban formulierte mehrere Hauptforderungen des IHD, darunter die Umsetzung des „Rechts auf Hoffnung“, die Freilassung schwerkranker Gefangener und das Ende der Straffreiheit bei staatlichen Verbrechen. Die Entscheidung der PKK, den bewaffneten Kampf einzustellen, sei ein bedeutsamer Schritt, müsse jedoch von staatlicher Seite mit konkreten Maßnahmen beantwortet werden, ergänzte er.
Stimmen aus dem Gefängnis
Zahlreiche Grußbotschaften unterstrichen die Tragweite des Moments. Die inhaftierte Politikerin Leyla Güven schrieb in ihrer eindrucksvollen Botschaft: „Das Volk hat genug von Toten wie Mutter Taybet (Inan), deren Leichnam tagelang auf der Straße lag, von Schicksalen wie denen von Cemile Çağırga oder Ceylan Önkol. Was heute gebraucht wird, ist ein würdevoller Frieden – wie Brot und Wasser.“
Güven sieht in der Einstellung des bewaffneten Kampfes eine historische Chance und forderte den Staat auf, den nächsten Schritt zu gehen: „Der Weg zur demokratischen Lösung ist geebnet. Jetzt muss gehandelt werden.“ Und: „Diese Phase ist zu kostbar, um sie allein den Kurd:innen zu überlassen. Alle Völker dieses Landes sind aufgerufen, zum Frieden beizutragen.“
Die inhaftierten Politiker Selahattin Demirtaş und Selçuk Mızraklı betonten in ihren Grußworten aus dem Gefängnis die Rolle des IHD als verlässliche Stimme für Rechte und Frieden. Der im deutschen Exil lebende Jurist Mahmut Şakar, einst Anwalt Abdullah Öcalans, hob hervor, dass besonders die Amed-Sektion des IHD seit Jahrzehnten die „kollektive Erinnerung der Ausgegrenzten“ darstelle und nun erneut eine Schlüsselrolle für eine neue Ära spielen könne.
Zana: „Große Opfer wurden gebracht – diese Phase ist entscheidend“
Die letzte Botschaft an den Kongress war die von der Politikerin, Ex-Langzeitgefangenen und ehemaligen Parlamentsabgeordneten Leyla Zana. Sie hob darin die historische Bedeutung Ameds als Ort des Widerstands hervor und erinnerte an die in den 1980er und 1990er Jahren von staatlichen Todesschwadronen ermordeten Menschenrechtler:innen und Politiker:innen. „Wir stehen in ihrer Schuld. Es ist unsere Pflicht und Verantwortung, dieses Land mit dem Frieden zu vereinen.“