Unbekannte haben in der nordkurdischen Provinz Mêrdîn (tr. Mardin) die gemeinsame Grabstelle von Uğur und Ahmet Kaymaz geschändet. Angehörige von Toten, die ebenfalls auf dem Friedhof im Landkreis Qoser (Kızıltepe) beerdigt sind, fanden unter anderem einen herausgebrochenen Grabstein vor. Die Schandtat ereignete sich bereits am Montag. Erst nachdem die Grabstätte von Freiwilligen wiederhergerichtet wurde, informierte man Makbule Kaymaz, die Mutter und Witwe von Uğur und Ahmet Kaymaz.
Extralegal hingerichtet
Uğur Kaymaz war erst zwölf, als er am 21. November 2004 zusammen mit seinem Vater Ahmet in Qoser von türkischen Sicherheitskräften erschossen wurde. Der Mord fand vor dem Haus der Familie statt. Uğur trug zum Zeitpunkt seines Todes Hausschuhe an den Füßen. Bei der Autopsie wurden dreizehn Kugeln in seinem Körper entdeckt, neun davon waren laut gerichtsmedizinischem Gutachten aus nächster Nähe auf seinen Rücken abgegeben worden. In der Leiche seines Vaters fand man acht Kugeln.
Der Provinzgouverneur erklärte nach dem Mord, es habe sich bei Uğur und Ahmet Kaymaz um Terroristen gehandelt, die einen Anschlag geplant hätten. Um diese Behauptung zu untermauern, wurde eine Kalaschnikow neben die Leichen gelegt und die Szene fotografiert. Die Waffe war fast größer als die Leiche von Uğur. Was an jenem Tag geschah, hielt der Menschenrechtsverein IHD anhand der Schilderungen von Makbule Kaymaz in einem Untersuchungsbericht fest:
„Mein Ehemann Ahmet ist Lastwagenfahrer. Mit unserem eigenen LKW führen wir Transporte durch. Mein Sohn Uğur wurde 1992 geboren, er ging in die 5. Klasse der Grundschule. Er begleitete ab und zu seinen Vater auf der Fahrt. Einen Tag nach dem Vorfall wollte mein Mann nach Iskenderun, um einen Transport durchzuführen. Daher bereitete er sich auf die Reise vor. Gegen 16.30 Uhr am Tag des Vorfalls hatten wir den Tisch gedeckt und das Essen serviert. Mein Mann war mit meinem Sohn damit beschäftigt, Decken und Matratzen zum Laster zu tragen. Beide trugen Hausschuhe. Anschließend wollten wir essen. Unser LKW parkte etwa 40 bis 45 Meter von unserer Wohnung entfernt, an der Hauptstraße. Als mein Mann und mein Sohn nach draußen gegangen waren, um die Sachen hinzubringen, hörten wir kurze Zeit darauf Schüsse. Ich war mit meinen drei anderen Kindern und meiner Schwiegermutter zu Hause. Wir hatten uns erschrocken und gingen über den Balkon zur Terrasse unserer Nachbarn, die gleichzeitig unsere Verwandten sind. Von dort habe ich meinen Sohn Uğur vor dem LKW knien und den Kopf nach vorne beugen gesehen. Ich habe ihn an seiner weißen Hose erkannt. Die Schüsse wiederholten sich in gewissen Abständen. Nach einiger Zeit kam die Polizei, unsere Wohnung zu durchsuchen, und wir wurden zur Staatsanwaltschaft zum Verhör mitgenommen. Später habe ich erfahren, dass mein Sohn und mein Mann getötet worden waren.“
Erst durch die Bemühungen der Familie und des IHD wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der erste Verhandlungstermin fand am 21. September 2005 in Mêrdîn statt. Doch die große Solidarität der kurdischen Öffentlichkeit mit der Familie Kaymaz – tausende Menschen aus verschiedenen Städten waren nach Mêrdîn gereist – ließ das Justizministerium den Prozess „aus Sicherheitsgründen“ ins westtürkische Eskişehir verlegen. Nach drei Jahren Verhandlungsdauer unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurden die angeklagten Polizisten am 18. April 2007 freigesprochen. In der Urteilsverkündung hieß es, Uğur und sein Vater seien „Terroristen“ gewesen, ihre Tötung wurde als gerechtfertigt eingestuft.
„Sie lassen unsere Toten noch nicht mal unter der Erde in Ruhe“
Verantwortlich für die Schändung der Gräber von Uğur und Ahmet Kaymaz sind vermutlich türkische Sicherheitskräfte. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Zerstörungen der Gräber von Opfern der Staatsgewalt, aber auch von Gefallenen der kurdischen Befreiungsbewegung. In den meisten Fällen wurden einzelne Grabstätten zum Ziel von Angriffen der türkischen Armee oder Polizei, doch auch ganze Gefallenen-Friedhöfe wurden bereits geschändet oder sogar vollständig dem Erdboden gleichgemacht, teilweise durch Luftangriffe. Von der türkischen Justiz werden diese Vorfälle nicht als Störung der Totenruhe gewertet. Makbule Kaymaz kommentierte den Vorfall mit den Worten: „Sie lassen unsere Toten, die sie selbst ermordet haben, noch nicht mal unter der Erde in Ruhe.“