Gedenken an die Toten von Roboskî

In Roboskî ist den 34 Menschen gedacht worden, die am 28. Dezember 2011 bei einem türkischen Luftangriff getötet wurden. Keiner der Verantwortlichen des Massakers an den größtenteils minderjährigen Zivilisten wurde zur Rechenschaft gezogen.

In Roboskî ist der Toten des Massakers vom 28. Dezember 2011 gedacht worden. An diesem Tag wurden in der Nähe des kurdischen Dorfes Roboskî in Qilaban (tr. Uludere) bei Şirnex 34 Zivilisten bei einem Luftangriff des türkischen Militärs getötet, vier weitere Menschen wurden teils schwer verletzt. Bis heute ist niemand für das Massaker zur Rechenschaft gezogen worden.

An der Gedenkveranstaltung am Friedhof von Roboskî nahmen zahlreiche Politikerinnen und Politiker der HDP und ihrer Schwesterpartei DBP sowie Vertreter*innen der zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüsse KCD und HDK teil. Die Zusammenkunft begann mit einer Schweigeminute und gemeinsamen Gebeten, anschließend wurden Reden gehalten. Zuerst richtete Zeki Tosun im Namen der Roboskî-Familien das Wort an die Anwesenden, danach erhob die HDP-Vorsitzende Pervin Buldan ihre Stimme. Die Politikerin begrüßte zunächst die Hinterbliebenen der Opfer des Massakers und die restliche Trauergemeinde, bevor sie ihre Rede hielt.

Gedächtnis schmerzvoller Erinnerungen

„Seit dem Massaker von Roboskî sind mittlerweile neun Jahre vergangen. Die vergangene Zeit ist von schmerzhaften Erinnerungen und von Leid unvorstellbaren Ausmaßes geprägt. Das Trauma des Massakers ist jedoch nicht auf Roboskî begrenzt, denn Schmerz kennt keine Grenzen. Roboskî ist unsere kollektive tiefe Wunde, die dieser Staat und seine Regierung in unsere Seelen gerissen hat. Sie haben ihre Bomben wissentlich und willentlich auf das Volk von Roboskî abgeworfen.

Unsere Geschichte ist seit langer Zeit Zeugin von Schmerzen wie diesen. Diese Berge hier und die Steine, die Gemeinschaft von Roboskî sind das Gedächtnis der Erinnerungen an qualvolle Phasen und Verbrechen gegen das kurdische Volk. Sie sind das Gedächtnis der Erinnerung an unzählige Menschenrechtsverletzungen, an Zerstörungen von Friedhöfen, an Massaker und an die von unbekannten Tätern Verschwundengelassenen. Ins Innere dieser Berge und Steine hüllen sich Leid, Tränen und Wut ein. Sie stehen für das geschichtliche Gedächtnis des kurdischen Volkes. Die Massaker werden nicht vergessen werden. Irgendwann wird der Tag kommen, an dem die Schuld der Täter gesühnt und Gerechtigkeit gebracht wird.

Die Geschichte der Kurden ist eine Geschichte der Massaker

Kurdistan erlebte eine Vielzahl von Massakern. Roboskî reiht sich ein in die Kette von Ungerechtigkeiten, die in Dersim, Maraş, Zîlan, in Sûr und Cizîr geschehen sind. Es ist die kurdenfeindliche Mentalität, die Quelle dieser Ungerechtigkeiten ist, und uns immer wieder tötet, uns immer wieder Leid zufügt. Während anderswo auf der Welt Regierungen zurücktreten würden, werden in diesem Land Verantwortliche von Massakern gedeckt, vor der Justiz geschützt und führen ein unbeschwertes Leben. Obwohl die Täter bekannt sind, obwohl wir wissen, dass die Entscheidung, Roboskî zu bombardieren, vom Nationalen Sicherheitsrat beschlossen wurde, gehen die Verantwortlichen straffrei aus. Diese Tatsache ist ein deutlicher Hinweis auf den Hass gegen die Kurden.“

Selbstkritik im Namen der HDP

Im weiteren Verlauf ihrer Rede ging Buldan auf die Prozesse gegen die Hinterbliebenen der Toten von Roboskî ein. Alle angestrengten Prozesse gegen die Täter, ganz gleich ob vor Zivil- oder Militärgerichtshöfen, sind eingestellt worden. Nachdem alle Rechtswege im Inland ausgeschöpft waren, wurde ein Antrag beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gestellt. Weil der Rechtsbeistand der Opferfamilien fehlende Dokumente zwei Tage zu spät eingereicht hatte, lehnte der EGMR den Antrag im Mai 2018 ab. Buldan verwies in diesem Zusammenhang auf eine Mitschuld der Rechtsanwaltskammer von Şirnex, übte allerdings auch mit Blick auf juristische Aspekte im Namen ihrer Partei Selbstkritik. „Wir haben den Prozess nicht intensiv genug verfolgt. Vermutlich hat auch dies dazu geführt, dass die juristische Aufarbeitung des Massakers verzögert wird.“ 

Hinterbliebene im Fadenkreuz der Justiz

Das juristische Verfahren zum Massaker von Roboskî steht sinnbildlich für die Justiz in der Türkei. Keiner der Verantwortlichen ist zur Rechenschaft gezogen worden. Veli Encu, der seinen Bruder Serhat bei dem Luftangriff verloren hat, und Barış Encu, dessen Bruder Nevzat gestorben ist, sitzen im Gefängnis, weil sie gegen das Massaker protestiert haben. Gegen 34 Personen läuft ein Verfahren wegen des Protests gegen den damaligen Landrat Naif Yavuz. Die Anklage lautet auf „Organisationspropaganda, Beleidigung der Armee und Mordversuch“. Weitere 16 Angehörige sind angeklagt, weil sie an einer Gedenkveranstaltung teilgenommen haben. Dutzende Angehörige sind zu Geldstrafen verurteilt worden. Der prominenteste Fall ist der des ehemaligen HDP-Abgeordneten Ferhat Encu. Er verlor durch den Luftangriff seinen Bruder und elf weitere nähere Verwandte. Nach dem Bombardement brach er sein Studium ab und ging in die Politik. Für die HDP zog er 2015 ins türkische Parlament ein. Im November 2016 wurde er zum ersten Mal wegen dem Vorwurf der „PKK-Mitgliedschaft” verhaftet. Nach drei Monaten wurde Encu zwar freigelassen, um dann aber im Februar 2017 erneut festgenommen zu werden. Ein Jahr später wurde ihm sein Abgeordnetenmandat aberkannt.

Türkische Armee: „Bedauerliche Verwechselung“

Neunzehn der 34 Opfer des Massakers von Roboskî waren minderjährig. Nur vier Personen überlebten den Angriff schwerverletzt. Die jungen Männer im Alter zwischen dreizehn und 38 Jahren, deren Familien vom Grenzhandel lebten, kehrten gerade aus Südkurdistan zurück, als um 21.37 Uhr die Bombardierung türkischer Kampfjets begann und bis 22.24 Uhr andauerte. Die Toten hatten ihre Maultiere mit jeweils zwei Kanistern Dieselkraftstoff, einem Kilo Tee und einem Kilo Zucker beladen. Dafür regneten am 28. Dezember 2011 tonnenweise Bomben auf sie nieder.

Der türkische Generalstab erklärte später, da die Gruppe einen auch von der PKK genutzten Weg genommen habe, sei die Entscheidung gefallen, sie anzugreifen. Man habe sie für „Terroristen” gehalten. Stunden vor dem ersten Luftschlag waren jedoch um 18.39 Uhr bereits Drohnenbilder ausgewertet worden, auf denen die Menschen eindeutig als Grenzhändler zu erkennen waren. Die örtliche Militärpolizei (Jandarma) war zudem über jeden Gang der Schmuggler informiert, da sie illegale Zollabgaben kassierte.

Die Guerilla nutzt ohnehin keine großen Wege wie die Grenzhändler und bewegt sich nicht in derart auffälligen Gruppen mit Maultieren. Auch das muss den verantwortlichen Militärs in Ankara bewusst gewesen sein. Der heutige Staatschef Recep Tayyip Erdoğan, der damals Ministerpräsident war, versprach, den Vorfall aufzuklären. Jedoch war es auch Erdoğan, der sich für das Bombardement persönlich beim Generalstabschef bedankte.