Bereits zum 42. Mal in Folge fanden heute in Nordkurdistan „Demokratie-Mahnwachen“ gegen die Ernennung von Zwangsverwaltern in HDP-geführten Rathäusern statt. Am 19. August wurden die Bürgermeister*innen der Großstädte Amed, Wan und Mêrdîn von der türkischen Regierung abgesetzt und durch Zwangsverwalter ersetzt. Seitdem kommt es täglich zu Protesten gegen den politischen Putsch.
In der Provinz Wan findet der Sitzstreik im Landkreis Rêya Armûşê (Ipekyolu) vor dem Kreisverband der Demokratischen Partei der Völker (HDP) statt. Das zentrale Motto der heutigen Aktion lautete: „Keine Zwangsverwaltung, sondern Selbstverwaltung“. Neben zahlreichen Mitgliedern aus dem Kreis- und Provinzverband der HDP sowie den Abgeordneten Murat Sarısaç, Muazzez Orhan und Mensur Işık nahm auch die Initiative der Friedensmütter teil. Ein Teil der Gruppe war extra aus Gever (Yüksekova) angereist. In einem Redebeitrag hielt die Aktivistin Naciye Ike im Namen der Initiative fest, dass mit der Usurpation der kurdischen Rathäuser der politische Wille der Bevölkerung geraubt wurde. Die Friedensmutter erklärte weiterhin: „Mit sehr viel Mühen und Opfern haben wir die Rathäuser gewonnen und werden sie uns auf die gleiche Weise zurückholen. Seit 42 Tagen wird Widerstand gegen den Raub unseres Willens geleistet. Ich grüße alle Menschen, die sich daran beteiligen. Sie sollten wissen, dass der Sieg uns gehört. Der Staat kann tun und lassen, was er will. Unser Widerstand führt uns zum Sieg.“
Mahnwache in Wan
Amed: Ey Dilberê
Auch die Mahnwache in Amed verlief heute wieder kraftvoll. Unter den Anwesenden waren neben dem abgesetzten Bürgermeister Adnan Selçuk Mızraklı auch die Ko-Bürgermeisterin von Pirsûs (Suruç), Hatice Çevik, der KKP-Vorsitzende Sinan Çiftyürek, die HDP-Abgeordneten Meral Danış Beştaş, Dersim Dağ, Remziye Tosun und Saliha Aydeniz sowie Hakkı Zariç, Ayşe Hür, Hicri İzgören, Erdoğan Aydın vom Verband der Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Türkei, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und zahlreiche Bewohner*innen der Stadt. Die Parlamentarierin Meral Danış Beştaş erklärte in einer Rede, dass Zwangsverwaltung nicht lediglich bedeute, einen Gouverneur als Bürgermeister einzusetzen: „Nennen wir es beim Namen. Bei dieser Maßnahme handelt es sich um die politische Haft einer gesamten Stadt.“
Anschließend ging die Politikerin auf die staatliche Repression gegen die kurdische Sprache ein und kam auf einen Vorfall in Êlih (Batman) zu sprechen, der sich am Samstag ereignete. In der nordkurdischen Provinzhauptstadt stürmte die Polizei gestern Abend ein Café, in dem der Sänger Dodan ein Konzert gab. Während der Künstler das kurdische Lied „Ey Dilberê“ sang, entriss ihm ein Polizist das Mikrofon. Im Rahmen der Demokratie-Mahnwache rief Beştaş die Teilnehmer*innen auf, gemeinsam besagtes Lied zu singen. Es handelt sich um ein Stück des armenischen Sängers Aram Tigran, der 2009 in Athen verstorben ist. Tigrans Vater stammte aus Amed und gehörte zu den Überlebenden des Völkermordes an den Armeniern von 1915. Als einziger Überlebender seiner Familie flüchtete er als Zwölfjähriger nach Qamişlo in Nordsyrien. Ein kurdisches Ehepaar, das keine Kinder bekommen konnte, nahm ihn auf und zog ihn groß. Aram Tigran kam 1934 auf die Welt. Sein Repertoire umfasste mehr als 230 kurdische, 150 arabische und einige aramäische und griechische Lieder. Ey Dîlberê gehört zu den bekanntesten seiner Lieder. In Kurdistan lernen es die meisten Menschen bereits im Kindesalter.