Festnahmen wegen Lynchmorden von Pirsûs
Fast vier Jahre nach den Lynchmorden an drei Mitgliedern der kurdischen Familie Şenyaşar aus Pirsûs durch Personenschützer eines AKP-Abgeordneten sind neun mutmaßliche Beteiligte festgenommen worden.
Fast vier Jahre nach den Lynchmorden an drei Mitgliedern der kurdischen Familie Şenyaşar aus Pirsûs durch Personenschützer eines AKP-Abgeordneten sind neun mutmaßliche Beteiligte festgenommen worden.
Fast vier Jahre nach den Lynchmorden an der kurdischen Familie Şenyaşar durch Verwandte und Personenschützer eines AKP-Abgeordneten sind neun mutmaßliche Beteiligte festgenommen worden. Die von der Staatsanwaltschaft in Riha (tr. Urfa) angeordneten Ingewahrsamnahmen sind am Freitag vollstreckt worden, wann die Überstellung der Festgenommenen an ein örtliches Gericht erfolgen soll, ist nicht bekannt. Insgesamt sollen sich die Ermittlungen gegen 43 Personen richten.
Was war in Riha passiert? Zehn Tage vor der Parlamentswahl am 24. Juni 2018 suchte der AKP-Abgeordnete Ibrahim Halil Yıldız in Begleitung von Verwandten und Leibwächtern im Kreis Pirsûs (Suruç) den Familienbetrieb der Familie Şenyaşar auf. Nach einer verbalen Auseinandersetzung um Stimmen bei der Abstimmung wurden Ferit, Fadıl, Celal und Adil Şenyaşar teils schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht, wo zwei von ihnen letztlich ermordet wurden.
Die Gerichtsmedizin stellte bei der Autopsie von Celal Şenyaşar Einschüsse von Kugeln aus mindestens sechs Schusswaffen verschiedenen Kalibers fest. Bei Adil Şenyaşar wurden an 14 Stellen des Körpers Schnitt- und Stichverletzungen wie auch Schlagverletzungen mit harten Gegenständen festgestellt. Im Bericht heißt es, dass Adil „extremer Gewalt“ ausgesetzt gewesen sei. In seinem Körper wurden siebzehn Kugeln verschiedenen Kalibers gefunden. Von diesen Projektilen waren fünf tödlich. Nur zwei der Geschosse wurden nicht aus dem Nahabstand abgefeuert. Der Vater Hacı Esvet Şenyaşar, der zu Fuß in das Krankenhaus herbeigeeilt war, wurde dort durch Schläge mit einer Sauerstoffflasche auf den Kopf schwer verletzt. Er starb einen Tag später, während die Beerdigung seiner zwei Söhne von der Polizei mit Tränengas angegriffen wurde.
Besonders perfide am Vorgehen der türkischen Justiz: Während bislang nur einer der rund zwei Dutzend identifizierten Angreifer wegen den Lynchmorden von Pirsûs verurteilt wurde – allerdings zu einer symbolischen Strafe von 18 Jahren: Das Gericht wertete es als strafmildernd, dass die Tat spontan aus einem eskalierenden Streit heraus geschehen sei – erhielt mit Fadıl Şenyaşar ein Überlebender wegen der Tötung eines anderen Angreifers eine knapp 38-jährige Haftstrafe. Und dass, obwohl nachgewiesen ist, dass der Mann von seinen eigenen Leuten getötet wurde. Erschwerend kommt hinzu, dass das Verfahren in zwei Teile abgetrennt worden ist: Die Vorfälle im Laden wurden in Meletî (Malatya) verhandelt, die Geschehnisse in den Krankenhäusern sollen in Riha vor Gericht gebracht werden. Doch eine über die Ermittlungsakte bereits vier Tage nach den Morden verfügte Geheimhaltungsverfügung ist noch immer nicht aufgehoben worden, entsprechend wurde auch keine Anklage erhoben.
Ob die jüngsten Festnahmen in Riha die juristische Auseinandersetzung mit den Lynchmorden endlich ins Rollen bringen werden, oder die Staatsanwaltschaft nur Augenwischerei betreibt, um Proteste gegen die Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden in dem Fall zu unterdrücken, wird sich noch zeigen. Denn auch im Zusammenhang mit den Festnahmen unterliegt die Akte einer Geheimhaltungsklausel. Einige Namen der in Polizeihaft genommenen Personen sind allerdings bekannt: Es handelt sich um Celal Yıldız, einen Bruder von Ibrahim Halil Yıldız, und zwei Neffen namens Osman Şah Yıldız und Osman Yıldız. Sie werden seit heute früh im Polizeipräsidium von Urfa festgehalten. Ein paar Straßen weiter setzt Emine Şenyaşar ihre „Mahnwache für Gerechtigkeit“ für ihren Ehemann und die beiden Söhne den 410. Tag in Folge fort. Seit März vergangenen Jahres sitzt die Seniorin mit ihrem bei dem Angriff ebenfalls verletzten Sohn Ferit jeden Tag vor dem Justizpalast, um die Bestrafung der Mörder ihrer Familienmitglieder einzufordern.